von Stefan Böker, 31.10.2024
Ein Mann, eine Gitarre, ganz viel Gefühl
Eine Welt voller Melodien und Emotionen: Der Bischofszeller Tobias Engeler holt aus seiner Akustikgitarre heraus, was anderen mit einer mehrköpfigen Band nicht gelingt. Die Musik hat er auf einem Roadtrip durch Europa komponiert – auch für ihn beginnt mit seinem neuen Soloprojekt eine Reise. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
«Ich will meinen eigenen musikalischen Weg einschlagen und meinen eigenen Sound entwickeln.» Das sagt Gitarrist Tobias Engeler. Als Berufsmusiker hat der Bischofszeller mehrere Jahre in verschiedenen Bands (etwa «The Acoustic 4») gearbeitet. Auch als Gitarrenlehrer an der Musikschule Romanshorn verdient er sein Geld. Jetzt tritt er selbst ins Rampenlicht – mit Musik, die alles andere als aufdringlich ist.
In seinem neuen Projekt hat er sich instrumentaler Folkmusik verschrieben. «Fingerstyle» heisst die Technik, bei der er die Saiten zupft und schlägt und rhythmisch auf die Gitarre klopft. Oder «Fingerpicking», wenn der Daumen eine markante Basslinie spielt.
Das ganze Potential des Instruments
Folk? Fingerstyle? Fingerpicking? Da kommen Bilder bärtiger Hippies in den Sinn und verspielte, sanfte Songs. Platten wie «Acoustic Guitar Scene» oder Peter Burschs Gitarrenbücher. Dabei hat der Stil eine Tradition, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht und gilt (neben klassischer Gitarre) als technischste Art, die Gitarre zu spielen.
Viele sagen, dass im Fingerstyle das ganze Potential der Gitarre erreicht wird, weil sie auch als Perkussionsinstrument dient. Ausgefuchste Techniken kommen zur Verwendung, wie Flageoletttöne oder das Tapping der Saiten auf dem Griffbrett durch die Schlaghand. Fingerstyle spielt im Folk eine Rolle, auch im Blues und Country, und wer sich wirklich auskennt, würde wohl aus dem Stegreif einen halbstündigen Vortrag halten können, wo sonst noch.
Man könnte also sagen: Ganz schön retro.
Indes hat Tobias Engeler seine Liebe zum filigranen Gitarrenspiel auf eine Weise entdeckt, die zeitgemässer nicht sein könnte und die heute den meisten jungen Musiker:innen beim Einstieg hilft: über einen Youtube-Kanal. «Neben Grössen wie Tommy Emmanuel liebe ich Künstler:innen von Candy Rat Records», nennt er seine Haupteinflüsse.
Candy Rat Records ist der Kanal des gleichnamigen US-amerikanischen Labels mit über 1200 Videos, dem über 755'000 Menschen folgen – eine Plattform für, laut Eigenwerbung, «aussergewöhnliche Gitarristen und Komponisten».
Hier bekommen Interessierte einen Überblick, was Fingerstyle-Gitarre heute bedeutet. Da wird eindrucksvolles Können vorgestellt, aber auch mal mit Effekten und Aufnahmetechniken experimentiert oder ästhetisch Neues gewagt.
Video: So klingt Tobias Engeler
Dreiklang aus Natur, Hoffnung und Schmerz
Tobias Engeler selbst hat sich für einen eher klassischen Zugang entschieden. Ein Mann, eine Gitarre. Die sieben Songs seines neuen Albums sind von der Natur, Naturschauspielen und grundlegenden Gefühlen wie Hoffnung oder Schmerz inspiriert. Aufgenommen wurden sie in einem simplen Setting an einem Wochenende. Zwei Mikrofone genügten.
An den Reglern stand Phil Merk, unter anderem bekannt als Gitarrist von Bligg und Produzent von Baschi. Die Lieder spielte Tobias Engeler am Stück ein. Die finalen Versionen bastelte Produzent Merk aus den verschiedenen Takes zusammen. Nur «Algarve», die erste Single-Auskopplung, nahm Tobias Engeler nochmals auf, nachdem alle anderen im Kasten waren.
Reinhören: Tobias Engelers Debüt-Single «Algarve» ist am 27. September 2024 auf allen Streaming-Plattformen erschienen. Drei weitere werden folgen. Das gesamte Album wird erst im neuen Jahr veröffentlicht.
«Algarve habe ich spontan drei Halbtöne höher eingespielt, um ein Schnarren der Saiten zu eliminieren», erklärt der Gitarrist den technischen Aspekt des Vorgangs. Auf Instagram hat er das demonstriert. «Also musste ich während der Aufnahme noch ein wenig üben». Herausgekommen ist ein Song, der den Sommer nochmals aufblühen lässt.
Laut Pressinformation eine musikalische Momentaufnahme, die sowohl die warmen Farben als auch die weiten Horizonte der südportugiesischen Küste einfängt. Man kann sich richtig vorstellen, wie es ist, den Blick über das weite Meer schweifen zu lassen und den Wind im Haar zu spüren. Der Song transportiert Freiheit, Aufbruch und eine positive Stimmung.
Gute Orte für sehnsuchtsvolle Musik
Sechs Monate war er mit seiner Partnerin im Van unterwegs. Er erlebte eine Zeit des zu sich Kommens, mit viel Ruhe, ohne Verpflichtungen und den Stress des Alltags. Er sei überrascht gewesen von der Ursprünglichkeit der Landschaft in Frankreich, im Norden Spaniens und Portugal, fern ab von Massentourismus. «Ich habe viele Eindrücke dieser Reise in meiner Musik verarbeitet», erzählt der Komponist. Wirklich geplant sei das Vorhaben nicht gewesen. «Wenn wir an einem schönen Ort waren, habe ich meine Gitarre in die Hand genommen und einfach losgespielt.»
Aufgewachsen in der Ostschweiz, zwischen grünen Hügeln und klaren Seen, entdeckte Tobias Engeler in seiner Jugend die Gitarre. Das Instrument wurde schnell zu seinem treuen Begleiter und Ausdrucksmittel seines inneren Wesens. Schon bald wurde klar, dass die Musik mehr ist als nur ein Hobby. Der Weg führte ihn zum Winterthurer Institut für aktuelle Musik, wo er sein Können verfeinerte und seine musikalische Sprache entwickelte. Nach mehreren Jahren als Berufsmusiker in verschiedenen Bands und Genres hat er nun seine eigene, unverwechselbare Stimme gefunden.
«Algarve» ist ein Vorgeschmack auf sein Album, bei dessen Produktion er vom Kanton Thurgau finanziell unterstützt wird. «thurgaukultur.ch» durfte schon einmal hineinhören. Sieben Songs, die zum Träumen einladen. Das tönt mal folkig, mal bluesig, an einer anderen Stelle hört man den Flamenco Andalusiens heraus. Besonders starke Momente sind sanfte Songs wie «Sunrise», der das Album abschliesst und im November als zweite Single erscheint.
«Tobias Engelers Akustikgitarre erzeugt eine Klangwelt, die weit über das hinausgeht, was man von einem einzigen Instrument erwarten würde», steht in der Presseinfo zur Single. Das kann man so stehen lassen. Musik wie ein schattenspendender Baum in der Hektik des Alltags, der Ruhe und Inspiration schenkt.
Erstmals kümmert er sich selbst um Booking und Promotion
Mit seinem Soloprojekt beginnt Tobias Engeler ebenfalls eine Reise. Als «thurgaukultur.ch» beim jungen Künstler anklopft, ist dieser gerade mit administrativen Details der Veröffentlichung beschäftigt. Erstmals kümmert er sich um Booking und Promotion selbst, steht allein auf der Bühne. Er freue sich auf diese Herausforderung, sagt der Musiker. Und er ist gespannt, welche Zielgruppe, welchen Markt er sich mit seiner anspruchsvollen Musik erschliessen kann.
Eins steht auf jeden Fall schon auf der To-do-Liste: Er wird «Algarve» an das Candy Rat Label schicken. Und so vielleicht wiederum zur Inspiration werden für junge, naturverbundene Gitarrenliebhaber auf der ganzen Welt.
Tobias Engeler live
Im nächsten Jahr sind Konzerte geplant: Am Donnerstag, 20. Februar, heisst es «Music & Dine» im Hotel Restaurant Jakob und am Samstag, 29. März, eröffnet Tobias Engeler für die Schweizer Folksängerin Julie Fox beim Kulturverein Literaria in Bischofszell.
Von Stefan Böker
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