von Inka Grabowsky, 28.08.2019
Ein Wochenende für die Literatur
Ein neues Leitungsteam organisiert nach einjähriger Pause erneut Lesungen in historischen Häusern von Tägerwilen bis Steckborn. Gelegenheit für persönliche Begegnungen von Autoren und Lesern gibt es am 14. und 15. September.
Zehn Jahre lang hatten Adolf Jens und Margit Koemeda das kleine Literaturfest organisiert. Nach den Jubiläumsfeiern 2017 wollten sie sich aus der Leitung zurückziehen und sich auf ihre Rolle als Gastgeber konzentrieren. Doch ganz nahtlos fanden sich keine Nachfolger. „Es gab 2018 bewusst eine Pause“, erklärt Barbara Müller, die gemeinsam mit ihrem Mann Felix seit den Anfängen des Literaturfestivals zu den Gastgebern gehört. „Alle wollten in Ruhe überlegen, ob es weitergehen kann und wenn ja, wie.“
Das treue Publikum gab den Anstoss. „Wir wurden immer wieder angesprochen“, so Felix Müller. Zu den Zuhörern, die die Lesungen vermisst haben, gehörte auch Irene von Ballmoos: „Es gab eine Lücke“, meint sie. Sie wieder zu schliessen, motivierte sie, sich zu engagieren: „Ich sagte mir: Wenn es dieses Jahr nicht weitergeht, stirbt das Format. Und das wäre schade.“ Mit dem Motto: „Jetzt machen wir es mal, und dann schauen wir weiter“, stürzten sich Müllers und Irene von Ballmoos gemeinsam in die Arbeit.
Wer liest was
„Die Stabübergabe war sehr gut“, sagt Irene von Ballmoos. „Koemedas haben uns viele Informationen und Tipps gegeben.“ Das Datum nahm das neue Team als gegeben: Wie bisher findet „Literatur am Untersee“ am zweiten Wochenende im September statt. Die Programmierung jedoch war anspruchsvoll. „Wir wollten, dass vor allem Autoren aus eigenen Werken lesen“, so Barbara Müller. „Ein Markenzeichen des Literaturwochenendes ist ja, dass man beim Apéro nach der Lesung noch über das Werk diskutieren kann. Ausserdem sollte aus klassischen Werken gelesen werden, was wieder der Schauspieler Volker Ranisch tut, der seit Jahren dabei ist. Er liest und spielt Zweigs Schachnovelle.“ Die Akquise der Schriftsteller war für alle ein Sprung ins kalte Wasser. „Man muss mutig auf Autoren zugehen“, hat Barbara Müller dabei festgestellt. „Auch auf die Stars des Literaturbetriebs“, ergänzt ihr Mann Felix.
„Für uns besonders interessant ist ja, den Menschen hinter dem Werk kennenzulernen.“ Gemeinsam mit Irene von Ballmoos hatten die Beiden aus eigenen Interessen eine Wunschliste aufgestellt und dann nach und nach abgearbeitet. „Ich habe einfach angerufen“, erzählt Barbara Müller. Einige Autoren waren schlicht zu teuer, andere hatten keine Zeit, doch erstaunlich viele waren offen für das Anliegen der Literaturfans. „Unsere Autoren geniessen alle den direkten Kontakt zum Publikum, und ebenso wie die Besucher freuen sie sich auf die historischen Häuser“, meint Barbara Müller. Es sei ja einzigartig, dass man am Untersee seiner Freude an Literatur und seiner Neugier auf das Interieur der Häuser gleichzeitig nachgehen könne.
Video: Peter Stamm über seinen Bezug zum Thurgau
Viel Lokalbezug
Die Autoren dürfen selbst bestimmen, welche Texte sie präsentieren. „Peter Stamm liest bewusst nicht aus seinem neuesten Buch, sondern aus ‚Seerücken‘ von 2011, weil es eben ideal zum Standort passt“, sagt Barbara Müller. Auch Eva Maria Hux bietet in „Die Hand der Mirjam“ Lokalkolorit: Ihr Roman spielt im Bodenseeraum. Die Autorin war lange in Frauenfeld zuhause, lebt heute allerdings in Stockholm.
Sie umrahmt ihre Lesung mit Cellostücken, denn sie ist auch ausgebildete Musikerin. Karl-Heinz Ott lässt seine Protagonistin in „Und jeden Morgen das Meer“ als Hotelbesitzerin am Bodensee starten, bevor er sie in die Welt schickt. Irena Brežná nimmt sich eines Themas an, das überall in der Welt diskutiert wird: In ihren Essays und Reportagen im Band „Wie ich auf die Welt kam“ sinniert sie über ihre Emigration aus Bratislava nach Basel. Der Untertitel „In der Sprache zuhause“ zeigt ihr neues Heimatgefühl.
Variationen im Gastgeber-Team
Alle drei Programmleiter sind aus Ermatingen, „Es klappt gut mit unserem Dreierteam“, sagen sie übereinstimmend. Termine liessen sich kurzfristig anberaumen, Entscheidungen schnell fällen. Heidi Walkhof blieb den Neuen als Ansprechperson für Reservationen erhalten und ist für das Sekretariat zuständig. „Das ist sehr wertvoll“, so Barbara Müller. Auch die Gastgeber blieben fast alle bei der Stange. Neu stellen Mina und Ernst Allenspach das „Steinhaus“ in Tägerwilen zur Verfügung. In Steckborn lädt Judit Villiger ins „Haus zur Glocke“, Rosalba Nussio lässt Besucher ins „Haus zum Gries“ in Berlingen. In Ermatingen freuen sich Koemedas ebenso auf Gäste im „Breitenstein“ wie Müllers im „Alten Debrunner-Haus“. Höchstens vierzig Besucher passen in die privaten Räume. Es empfiehlt sich, die Karten rechtzeitig zu reservieren.
Das Programm im Überblick
Am Samstag 14. September,
15.30 Uhr: „Haus zum Gries“ Berlingen: Volker Ranisch liest aus Stefan Zweigs „Schachnovelle“
19.00 Uhr, „Breitenstein“ Ermatingen: Irena Brežná liest aus „Wie ich auf die Welt kam“
Am Sonntag 15. September,
11 Uhr, „Altes Debrunner Haus“ Ermatingen: Peter Stamm liest aus „Seerücken“
16 Uhr „Haus zur Glocke“ Steckborn: Eva Maria Hux liest aus „Die Hand der Mirjam“
19 Uhr, „Steinhaus“ Tägerwilen: Karl-Heinz Ott liest aus „Und jeden Morgen das Meer“
Informationen und Karten für 20 Franken bis 13.9. per Mail über heidi@walkhoff.ch Alle fünf Lesungen gemeinsam kosten 80 Franken.
Von Inka Grabowsky
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