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von Inka Grabowsky, 26.08.2024

Eine Plattform für die Kleinen und Unabhängigen

Eine Plattform für die Kleinen und Unabhängigen
75 Ausstellerinnen und Aussteller lockten in den Dreispitz zur ersten Bodensee-Buchmesse. | © Inka Grabowsky

In Kreuzlingen trafen sich zum ersten Mal Kleinverlage, Autoren und Leser zur Bodensee-Buchmesse. Stephan Militz von Verein Kultur Worx und selbst Verleger der 8280-Edition hatte den Anlass organisiert. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Stadtpräsident Thomas Niederberger hat die Lacher auf seiner Seite, als er die erste Bodensee-Buchmesse eröffnet. «Durch Lesen verbessern sich die Allgemeinbildung, der Wortschatz und die verbale Intelligenz. Vor allem aber: Leser verbrauchen mehr Kalorien als Fernsehzuschauer!» Die Ausstellenden und Besuchenden der Messe im Kreuzlinger Dreispitz brauchte er nicht überzeugen. Alle sind Bücherwürmer. 

Stephan Militz, bekannt als Gründer des Kulturvereins Kultur Worx und seit vergangenem Jahr Verleger der 8280-Edition, hatte über Posts im Internet und einige Medienberichte 75 Mitstreiter gefunden. Pro Stand beteiligten sie sich mit 120 Franken (auch halbe Tische waren möglich) an den Kosten. Die Besucher zahlten 10 Franken Eintritt. 

«Das reicht gerade, um die vergünstigte Miete für den Dreispitz zu zahlen», so Militz. «Wir versuchen mit einer schwarzen Null abzuschliessen. Wichtiger ist, dass sich hier alle vernetzen können und dass wir den kleinen unabhängigen Verlagen eine Plattform bieten. Wenn nur noch die grossen wahrgenommen werden, dann fehlt dem Buchmarkt die Würze.» 

 

Stadtpräsident Thomas Niederberger eröffnet mit Stephan Militz die 1. Bodensee-Buchmesse. Bild: Inka Grabowsky

Die Gelegenheit gepackt

Zu den Ausstellern gehört Margit Müller, die bei der 8280-edition einen Roman über albanische Burrneshas (intergeschlechtliche Menschen) publiziert hat. «Bei einer kleinen Buchmesse wie dieser kann man spezielle Themen abseits des Mainstreams entdecken», freut sie sich. «Und wir müssen uns in unsere Buch-Bubble gut vernetzen, sonst ist es schwer, an Leser zu kommen.» 

Ein paar Meter weiter präsentiert die Kreuzlingerin Navyo Brigitte Lawson ihre Werke. Im vergangenen Herbst hat sie einen Roman, ein Kinderbuch und einen Lebenshilfe-Ratgeber veröffentlicht. Nun suchte sie eine Plattform, um sie vorzustellen. «Das Angebot kam gerade recht», meint die ehemalige Therapeutin für Körper- und Energiearbeit. 

Die Standgebühren seien ein Klacks im Vergleich dazu, was der Druck ihrer Bücher im Hierophant Verlag gekostet habe. Zahllose Versuche, ohne Bezahlung einen Verlag zu finden, waren gescheitert.

 

Navyo Brigitte Lawson hat drei Bücher auf eigene Kosten verlegen lassen. Bild: Inka Grabowsky

Verlage sind keine Goldgrube

Die Erlebnisse der Amateur-Autorin sind exemplarisch für die Erfahrungen vieler Schriftsteller: Sie suchen mit ihren Werken einen Verlag, bekommen aber oft nicht einmal Absagen. Die Podiumsdiskussion auf der Messe zur Zukunft des Buchmarkts weckt Verständnis für die Rolle der Verleger. «In der Branche lebt man mit winzigen Margen», sagt Patrick Heuscher vom Verlagsauslieferer AVA. «Um wirtschaftlich arbeiten zu können, muss alles effizient sein.» 

Patrizia Grab vom Rotpunktverlag meint: «Wir probieren Optimismus auszustrahlen, aber wenn wir für jedes Buch bei Stiftungen oder Sponsoren Gelder als Druckkostenzuschuss generieren müssen, ist es schwierig.» Annette Beger von Kommode Verlag verrät: «Bücher drucken lohnt sich erst ab der zweiten Auflage, wenn man mehr als 2000 Exemplare verkaufen kann.» Ein nennenswertes Honorar für die Schreibenden ist im Business-Modell kaum vorgesehen. 

«Für Autoren rechnet sich das Schreiben nur, wenn sie viele Lesungen haben, für die sie ein Honorar bekommen», sagt Cornelia Mechler, Geschäftsführerin des Verbands der Autorinnen und Autoren Schweiz. 

 

Ein Podium zur Zukunft des Buchmarkts macht Hoffnung auf das Überleben des gedruckten Buchs. Bild: Inka Grabowsky

Herzensprojekte von Idealisten

Vera Fechtig gehört unter den Ausstellern zu den Semi-Profis. Sie ist eigentlich Sachbuch-Mentorin und hilft Autoren bei der Buchgestaltung und -Vermarktung. «Aber vor zwei Jahren wollten meine Zwillinge, damals 6 Jahre alt, Wohnmobilferien machen. Und ich habe ihnen daraufhin ein Projekt vorgeschlagen: Sie erzählen mir Geschichten und malen Bilder dazu, ich mache daraus ein Buch, und von den Erlösen finanzieren wir dann die Ferien.» 

Nun also steht sie da mit einem Hardcover, einem Taschen- und einem Ausmalbuch und hofft auf steigende Bekanntheit und steigende Verkaufszahlen. Bis ins österreichische Frühstückfernsehen habe sie es mit der Geschichte schon geschafft, meint sie.

 

Vera Fechtig vermarktet die Geschichten ihrer Kinder. Bild: Inka Grabowsky

Selbstvermarktung ist ein Handwerk

Das Bekanntwerden – insbesondere auf Social Media - ist Thema eines Workshops. Melissa Riebel ist angereist, um die Autoren und Klein-Verleger über die Arbeit als Influencerin aufzuklären. Sie selbst hat 400.000 Follower über diverse Social Media Kanäle und hat ihr früheres Hobby nach einem Online-Marketing Studium längst zum Beruf gemacht. Immer neue Stühle müssen die Helfer heranschleppen. Das Interesse an ihren Tipps ist riesig. 

 

Der Workshop von Melissa Riebel zum Vermarkten der eigene Bücher auf Social Media war sehr gefragt. Bild: Inka Grabowsky

Nachwuchsförderung inklusive

Kinderbetreuung ist auf Messen nichts Unübliches. Stephan Militz aber hat sich etwas Besonderes ausgedacht. Kinder können unter Anleitung eine eigene Geschichte aufschreiben und illustrieren. Der zehnjährige Kai, der seine Mutter zur Messe begleitet hatte, ist jedenfalls schon ein begeisterter Leser: «Man kann in Büchern in Welten eintauchen und Dinge erfahren, die man vorher nicht wusste.» Beim Spielstrassenfest in Kreuzlingen am 21. September 2024 soll weiter gesammelt werden, bis genug Geschichten und Bilder für einen Sammelband zusammengekommen sind. 

Das Konzept verbreitet sich

Entstanden ist die Idee zur ersten Bodensee-Buchmesse durch eine Anregung der Stuttgarter Buchmesse, erzählt Organisator Stephan Militz. «Ann-Katrin Zellner und Stefan Zeh kamen auf mich als Verleger zu. Wir kamen ins Erzählen und haben schliesslich unsere Kontakte zusammengeschmissen, um die Veranstaltung hier auf die Beine zu stellen.»

Zellner und Zeh sind beide selbst Schriftsteller. Im März 2024 haben sie die erste Stuttgarter Buchmesse ins Leben gerufen. «Wir wollten einen Treffpunkt bei uns im Südwesten schaffen. Frankfurt und Leipzig sind zu gross und zu weit im Norden.» erzählt Christian Zeh. «Wir dachten an 15 bis 20 Aussteller. Am Ende kamen 120, und wir hatten rund 2000 Besucher.» 

So viele waren es bei der Kreuzlinger Ausgabe nicht. Das Wetter sei zu gut gewesen, die Konkurrenz durch andere Veranstaltungen zu gross, heisst es bei den Teilnehmern. Trotzdem soll die Bodensee-Buchmesse im kommenden Jahr wiederholt werden. Und das Format soll wachsen. In Basel, in Wien, in Lübeck, im Ruhrgebiet und in München sind Ableger geplant. 

 

Stefan Zeh und Ann-Katrin Zellner sind von Autoren zu Messeveranstaltern geworden. Bild: Inka Grabowsky

 

 

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