von Manuela Ziegler, 14.09.2015
Arbon zeigt Avantgarde
Seit Samstag zeigt die 2. Arbonale internationale Klangkunst im ZikZakZuk-Areal. Nicht nur die Künstler, auch die zahlreichen Besucher brachten die Objekte in Schwingung.
„Zuerst die Stille“ dann, ein paar Beats weiter „die Erde klingt, wir klingen mit“. So fabulierte die Wortakrobatin und St. Galler Kantonsrätin Ruth Erat in ihrer Einführung zur 2. Arbonale. Wie aus Stille Klang wird fasziniert auch alle sechs ausstellenden Künstler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Und dennoch sind ihre Ansätze grundverschieden“, meint Stefan Philipi, selbst Klangkünstler, Kurator und Initiator der Arbonale. Sein Ziel ist es, ein jährliches Festival der Klangkunst in Arbon zu etablieren. Während im vergangenen Jahr vor allem der Aussenraum bespielt wurde, stellte heuer die ZIK Immo im ZikZakZuk Areal Gewerbeflächen zur Verfügung.
Stefan Philippi: Urheber der Arbonale, Kurator und Klangkünstler (Bilder: Manuela Ziegler)
Ein Ausprobieren ohne Regeln
Ein Parkdeck etwa dient als Auftaktbühne. In seiner Schmucklosigkeit ist es eine ideale Präsentationsfläche für die Klangkunst von Stefan Philippi. Klang und Bewegung gehören für ihn untrennbar zusammen. In eigens dafür konzipierter Choregraphie bewegen sich hier die Schülerinnen der Tanzwerkstatt Arbon geschmeidig um seine „Ölfässer“, berühren sie und bringen sie so zum Klingen.
Martin Spühler hat einen alten Flügel mit einem eiseren Ressonanzkörper eigens für ein Solokonzert gebaut.
Die Entstehung seiner Objekte folge keiner festen Regel. Es sei vielmehr ein Ausprobieren, ausgehend von einem Ausgangspunkt, so der Klangkünstler. Das könnte zum Beispiel eine quietschende Tür sein, auf die er aufmerksam werde und finde, dass dem Geräusch noch etwas fehlte zum Klang.
Junge Kunstform entwickelt sich
„Es gibt im Grunde keinen schlimmen Klang“, sagt Philippi und zeigt damit auch seine Offenheit gegenüber Geräuschen. Gestimmtes kann klingen, wie etwa seine grünen Ölfässer und ebenso Ungestimmtes, wie die kleinen Messingstäbe auf würfelartigen, hölzernen Resonanzkörpern. Philippi ist gelernter Schreiner und bringt also das handwerkliche Rüstzeug für seine Objekte mit.
Der Klangbildhauer Martin Spühler bringt seine Klangschale in Schwingung.
Als Klangkünstler experimentiert er seit 30 Jahren in einer, wie er sagt „sehr jungen Kunstform“. Einer ihrer Wegbereiter war der us-amerikanische Komponist John Cage, der sich seit den 1930er Jahren mit Geräuschen beschäftigte. An den Musik- wie auch Kunstakademien ist das Sujet nach wie vor eine Randerscheinung.
Experimente mit dem Körper
Allein auf weiter Flur mit seinen Instrumenten war folglich Martin Spühler aus Ricketwil als er in den Siebzigerjahren mit Klang zu experimentieren begann. Seine Kunstwerke seien meist unfertig, er entwickle sie immer weiter. Neueste Forschungsarbeit ist sein Gong, eine flach geschmiedete Chromstahlschale mit flachen Becken ringsum ringsum, die er mit Händen, Füssen, Klöppeln, zum Schwingen bringt – in einem geschlossen Raum.
Steinmusiker Beat Weyeneth im Gespräch mit einem Besucher. Das Ende seiner Kugelbahn ragt links ins Bild.
Die Besucher dürfen ebenfalls Hand anlegen, sogar die Stimme kommt zu Einsatz. Das Wasser zieht Kreise, sie werden an die darüberliegende Wand projiziert. „Es sind immer andere Kreise, weil jede menschliche Berührung anders ist, so der Künstler.
Auch Konzertinstrumente darunter
Die Schwingung wiederum überträgt sich auf den menschlichen Körper, spürbar für jene Besucher, die gern ihre Hand ins Wasser legen. „Mir geht es nicht um die Zwölftonreihe, mich interessieren die Zwischentöne“, antwortet Spühler auf die Bemerkung eines Besuchers, dass der Klang nicht rund sei. Erstaunen, Schmunzeln und Neugier begleiten die Interaktionen und Vorführungen.
In der grossen Ausstellungshalle zeigt Beat Weyeneth eine Kugelbahn aus Holzkorpus mit gestimmten wie ungestimmten Serpentinsteinen. Eine steinerne Kugel rollt darüber und verklingt langsam im steinernen Becken. Der Instrumentenbauer will dem stillen Material Musik entlocken und gibt auch Konzerte mit seinen verschiedenen Steininstrumenten. Workshops für Schüler und Kindergartenkinder bietet hingegen Oliver Lüttin aus Degersheim auf seinen Riesendrums aus Secqoiaholz an. Seine Baumkunst ist raumgreifend: ein 26m langer Mammutbaum liegt ausgehöhlt und bereits in Einzelteile zersägt am Boden
Klang braucht besonderen Raum
Der Kurator begrenzte die Ausstellung in der Halle bewusst auf die Auswahl der drei Materialien Holz, Stein und Metall. „Die Kunstwerke dürfen sich gegenseitig nicht übertönen und brauchen eine passende Umgebung“ begründet er seine Auswahl. Anfassen dürfen die Besucher nur ausgewählte Objekte und viele sind nur während der Führungen zu hören oder in Konzerten der Künstler. „Wenn alle beliebig spielen, wird es nur noch laut“, so der Kurator. Dennoch sei die Interaktion für die Vermittlung von Klangkunst ausschlaggebend. Verloren wirke ein Klangobjekt in einer Gemäldeausstellung. Denn es lebt erst durch die Berührung. „Der Klang braucht also ein besonderes Gefäss“, meint er über die Initialzündug zu seinem Arbonale Konzept.
Objekte von Schülern der Stiftung Roth Haus als Übergang zwischen Ausstellungshalle und der Werkstatt am See konzipiert.
Es tropft
Wie untrennbar Raum und Klang zusammen gehören, zeigt die spielerische Installation des Wieners Hans Tschiritsch, Instrumentenerfinder, Klangforscher und Multiinstrumentalist. Kunstvoll wie die Äste eines Baumes verzweigen sich seine fein gebogenen Kupferrohre an der Wand und über die Decke hin. Aus den Öffnungen tropft es hinunter in die darunter stehenden Blechwannen. In jeder Wanne erklingt ein anderes Tropfen. Tschiritsch reguliert das über kleine Wasserhähne an den Rohren. Wer genau lauscht, hört wie Obertöne entstehen. Mal Spielerisch, mal durchkomponiert, mal raumgreifend - in der Arbeit mit dem Stofflichen entwickeln die Klangkünstler das Nichtstoffliche. Arbon zeigt Avantgarde. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.
2. Arbonale - Mit wenig Mitteln Grosses geleistet
Nach dem grossen Erfolg der Arbonale 2014 entschied sich der Gründer Stefan Philippi für eine Fortsetzung in zwei Jahren. Doch als die Stadt Arbon die Unterstützung versagte, entschloss er sich kurzerhand für ein zweites Festival in diesem Jahr. Unterstützt wird es diesmal von der ZIK-Immo, von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau, Migros Kulturprozent, der Thurgauer Kantonalbank, der Werkstatt am See, Getränke Möhl und weiterer Stiftungen.
Dennoch handle es sich um eine Low-Budget-Produktion, die ohne ehrenamtliche Arbeit der vielen Helfer im Hintergrund nicht möglich geworden wäre, so Philippi. Er hofft und wünscht sich, dass die Stadt im nächsten Jahr wieder in die Förderung einsteigt, um das Festival auch entsprechend bewerben zu können.
Die Arbonale 2015 vom 12. bis zum 27. September findet im Querbau des ZikZakZuk-Areals in der Weitegasse 6 statt. In der grossen Halle stellen Oliver Lüttin, Martin Spühler und Beat Weyeneth aus. In 3 weiteren Räumen installieren Hans Tschiritsch, Martin Spühler, und Wolfgang Deinert Klänge. Parallel öffnet Stefan Philippi sein angrenzende „Werkstatt am See“ (Schlossgasse 10) und gewährt einen besonderen Einblick in seine Lebens- und Arbeitsweise.
Als Verbindung beider Ausstellungsareale entwarfen die Schüler der Stiftung Roth Haus Schönebuel vier Objekte im Aussenbereich. Unter der Woche gibt es verschiedene Führungen der Künstler. Die Ausstellung ist an den Wochenenden geöffnet. Begleitend finden Konzerte mit den ausgestellten Objekten statt.
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Klang begreifen (Video) - art.TV - thurgaukultur.ch vom 23.09.2014
Von Manuela Ziegler
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