von Inka Grabowsky, 12.03.2020
Neues Leben in alten Gemäuern
Im Thurgau hatten über Jahrhunderte 13 Klöster das Leben geprägt. Doch 1848 war Schluss damit. Der Kanton übernahm den Besitz. Danach verwandelten sich die Klöster für immer.
Den Wirren der Reformation hatten die geistlichen Gemeinschaften erstaunlich lange getrotzt. Sie profitierten davon, dass bis 1798 die Region von den „Alten Orten der Eidgenossenschaft“ regiert wurde. Sie waren teils evangelisch, teils katholisch und insofern nicht einstimmig gegen Klöster. Doch nach fünf Jahren unter der Herrschaft der helvetischen Zentralregierung wurde der Thurgau 1803 souveräner Kanton. Von da an wurde es für die Klöster eng.
In den dreissiger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden sie staatlich verwaltet, die Aufnahme von Novizen war verboten, und die Vermögen wurden eingezogen. 1848 beschloss der Rat des Kantons, die Klöster (bis auf Fischingen und Werd) endgültig aufzuheben. Die Summen, die man mit dem Verkauf der verstaatlichten Ländereien einnahm, konnte man gut brauchen. Doch die altehrwürdigen Gebäude liessen sich nicht so leicht weiterverwenden.
Video: Rosen in der Kartause Ittingen
Kontinuität mit anderen Vorzeichen
Zu den kantonsweit bekanntesten Ex-Klöstern dürfte die Kartause Ittingen zählen. Ihre Geschichte wurde Stoff für ganze Theaterstücke. Dass man aus einem klösterlichen Landwirtschaftsbetrieb ein privates Gut macht, ist nicht wirklich originell. Inzwischen dienen die Gebäude zusätzlich als Seminarhotel, Ausflugsziel, Bildungsstätte, Museum und als Zentrum für Spiritualität der Evangelischen Landeskirche.
Diesen Weg beschritt auch das Kloster Fischingen, auch wenn hier noch immer neun Benediktiner beten und arbeiten. Es fungiert als Seminarhotel, Förderschule, Schreinerei, bietet ein grosses Konzertprogramm, und gründete die erste Klosterbrauerei der Schweiz. Das Kloster gehört einem Verein, die Kirche der katholischen Kirchgemeinde Fischingen.
In Ansätzen mit der Kartause Ittingen vergleichbar ist das Schicksal des Zisterzienserinnenklosters Tänikon. Der landwirtschaftliche Teil des Besitzes wurde – nach einem Umweg als Ziegelei - Sitz der Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon mit angeschlossenem Landwirtschaftsmuseum.
Rettung in der Landwirtschaft fand ebenfalls das Klostergut Paradies in Schlatt. 1918 kaufte es das Schaffhauser Industrieunternehmen Georg Fischer, um die Versorgung der Mitarbeiter mit Lebensmitteln zu verbessern. Bemerkenswert hier ist die Eisenbibliothek mit rund 40'000 historischen und aktuellen Büchern zum Thema Eisen.
In St. Katharinental in Diessenhofen widmete man sich von 1871 an als „Kranken- und Greisenasyl“ der Altenpflege, nachdem die 600 Jahre lange Ära der Dominikanerinnen zu Ende gegangen war. Die Klinik gehört heute zur Spital Thurgau AG.
Vergleichsweise einfach war es im Fall Münsterlingen. Hier hatten sich seit mehr als acht Jahrhunderten Benediktinerinnen um Kranke gekümmert. Für diese Dienstleistung gab es weiter Bedarf. Das Leben im Spital ging quasi nahtlos weiter – nur unter neuer Trägerschaft.
Paradigmenwechsel in Kreuzlingen
Auf dieses Modell wollten auch die Augustiner-Chorherren in Kreuzlingen setzen. Sie gründeten noch kurz vor Toresschluss 1833 ein Seminar für Lehrerbildung, in der Hoffnung, dadurch ein Existenzrecht für seine Gemeinschaft zu behalten. „Doch die Regierung wollte eine aufgeklärte, religionsfreie Ausbildung», erzählt Uwe Moor, der hier nicht nur selbst zur Schule ging, sondern später auch Konviktleiter und unter anderem Lehrer für Geschichte war. „Der Thurgau gründete 1833 sein eigenes Seminar in der Seeburg. Den Chorherren wurde währenddessen das Leben immer schwerer gemacht. Die Besitzungen des Stifts in Süddeutschland, die von wohlhabenden zweitgeborenen Adelssöhnen ins Klostervermögen eingebracht worden waren, wurden für viel Geld an den Grossherzog von Baden verkauft.“
1848 mussten dann die letzten Chorherren ihr barockes Prachtgebäude aus dem Jahr 1670 verlassen, die „kantonalen“ Seminaristen zogen ein. Schon zur Klosterzeit waren nur einige Räume repräsentativ ausgeschmückt. Was heute nach Kreuz-Gewölbe aussieht, wurde bei späteren Modernisierungen nur aufgesetzt. „Schon damals war wohl das Geld knapp und man musste bei der Ausschmückung der Klosterbauten Prioritäten setzen. So wurden im Refektorium Bilderrahmen an den Wänden und an der Decke aufwändig mit Stuck vorbereitet, doch die Bilder dazu wurden nie geschaffen.“
Die Grundkonstruktion des Klostergebäudes war für eine Internatsschule sehr praktisch. Die Aussenmauern tragen, die inneren kann man beliebig verändern. Der Bibliothekstrakt war schon 1870 so verfallen, dass er abgerissen werden musste. Eine Renovation war für den Kanton zu teuer.
Aussen strikt, innen verspielt
Mehr als 30 bis 35 Geistliche hätten auch zu Glanzzeiten hier nie gewohnt, so der Historiker. „Die Chorherren lebten zum Teil standesgemäss in Schlösschen der nahen Umgebung und einzelne liessen ihre geistlichen Pflichten von Kaplänen erfüllen. Ein Augustiner-Chorherr entspricht nicht dem Mönchsbild im herkömmlichen Sinn.“
Immerhin der Abt und sein Prior hatten reich verzierte Räume. Der Empfangsraum des Abts mit grossem Kachelofen und spektakulärer Terrasse ist inzwischen zum Lesesaal der Schüler geworden. In seinem Schlafzimmer arbeitet heute der Rektor der heutigen Pädagogischen Maturitätsschule. Und auch die Verwaltung sitzt unter Tortengips, ebenso die Schüler im Klassenzimmer K12. Sie lernen Französisch unter imposanten Stuckdecken.
1963 brannte das Ex-Kloster nach Renovierungsarbeiten aus. Der Wiederaufbau gab die Chance, das Gebäude in kunsthistorischer Sicht einheitlicher zu gestalten als es jemals war.
Nonnenkloster als Gefängnis
Ganz neue Wege beschritt man in Kalchrain. Aus dem Kloster Mariazell, in dem seit 1330 Zisterzienserinnen gelebt hatte, wurde 1852 zunächst eine Zwangsarbeitsanstalt für Männer und Frauen und schliesslich 2006 das „Massnahmenzentrum für junge Erwachsene“. Der Spruch „Zelle bleibt Zelle“ verbietet sich aber. Weder entsprechen die Zimmer der heutigen Bewohner dem Klischee des Kerkers, noch hatten die barocken Wohnräume der Schwestern etwas von einer kargen Kammer.
In der Blütezeit des Klosters Anfang des 18. Jahrhunderts baute der damals renommierteste Barockarchitekt Caspar Moosbrugger die Anlage um. Er prägte auch die erwähnten Klöster in Fischingen, Münsterlingen und Katharinental.
Der Leiter des Massnahmenzentrums Hansjörg Lüking arbeitet im Zimmer der Äbtissin, einem prachtvoll vertäfelten Raum. Direkt über ihm hat der pädagogische Leiter sein Büro im ehemaligen Zimmer des Probstes. Der wollte offenkundig deutlich machen, dass er hierarchisch weit über den Nonnen stand. Sein Raum ist mit einer weissen Stuckdecke und passendem Kachelofen ausgestaltet.
Die jetzigen Nutzer kümmern diese früheren Statussymbole nicht mehr. Eine Wirkung hat das Ex-Kloster aber sowohl für die 80 Angestellten als auch für die 34 eingewiesenen Straftäter. „Das Gebäude macht ihnen wohl Eindruck“, so Hansjörg Lüking. „Jedenfalls haben wir wenig mit Sachbeschädigungen zu tun, obwohl die jungen Männer eine Menge destruktiver Energie mitbringen. Für die Menschen, die hier arbeiten, ist ein es schöner Ort mit eindrücklicher Aussicht bis in die Alpen.“
Spuren verwischt
Von der Kirche der Nonnen ist heute nur noch der Chor zu sehen. Der Rest war baufällig und wurde abgerissen. Auch die Gruft wurde nicht sehr respektvoll behandelt. Vor rund hundert Jahren wurde sie zum Heizungskeller umfunktioniert. Nur ein kleiner Teil ist noch erhalten. „Bis in die fünfziger Jahre hat man Insassen hier zur Strafe eingesperrt“, erzählt Lüking, „und damals waren alle Grabnischen noch offen.“ Heute sind sie zugemauert. Nur eine ist - inklusiver der Gebeine der Verstorbenen – noch zu sehen.
Die Gitter vor den Fenstern im Barockgebäude haben ihre Funktion geändert. Einst schützten sie die Nonnen vor der Aussenwelt. Nun sorgen sie dafür, dass die Bewohner im Innenraum bleiben. Anderes hat sich nicht verändert. Im Refektorium wird immer noch gegessen, im Weinkeller wird immer noch Wein gelagert, den Auszubildende zum Winzer angebaut haben. Die Zisterzienserinnen hatten Burgundertrauben aus Frankreich mitgebracht.
Raum für Kreativität
Nicht allen ehemaligen Klöstern gelang der Schritt in die Moderne auf Anhieb. Die Geschichte der Komturei Tobel beispielsweise ist äusserst wechselhaft. Auch sie wurde – nach 600 Jahren im Besitz des Johanniterordens – zur Strafanstalt. 1973 schloss sie, seitdem ist ein Teil der Komturei ungenutzt und sanierungsbedürftig. Eine Stiftung hatte sie vom Kanton übernommen, geriet aber auch in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Seit 2014 bewege man sich wieder in ruhigerem Fahrwasser, heisst es von den Betreibern. Ziel sei es, dem Kultur- und Baudenkmal neues Leben einzuhauchen. Die Komtureibeiz und die Mikrobrauerei helfen dabei. Immer wieder finden hier auch spannende Kulturprojekte statt.
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