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von Inka Grabowsky, 17.07.2023

Sterben wie ein Ägypter

Sterben wie ein Ägypter
Das Band ist nich nur Teil der Installation, sondern auch Requisite beim Tanz - hier für Claudia Heinle. | © zVg

Die Tänzerin Claudia Heinle ist bekannt für ihre berührenden Choreographien. Jetzt führt sie ihr Werk der vergangenen Jahre in einer aussergewöhnlichen Aufführung in Steckborn zusammen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

«Unsere Zuschauer sind oft ergriffen, weil sie etwas begriffen haben», sagt Claudia Heinle von der Compagnie tanz-raum. Sie kann sich auf Gespräche nach den Aufführungen der Vorgängerprojekte «Salam» und «Passion» berufen, in denen sie sich ebenfalls mit dem Tod auseinandergesetzt hat. Elemente aus beiden Produktionen vereint sie nun gemeinsam mit der Perkussionistin und Tänzerin Caroline Chevat sowie den Musikern Amir Ezzat und Mourad Adli in der Installation und Performance «Duat». 

«Es gibt quasi ein Destillat aus drei Jahren Arbeit», erklärt Heinle. Bei «Passion» kombinierte die Compagnie ägyptische Rhythmen mit europäischer Barockmusik zum Thema Opfertod und Wiederauferstehung. 

Bei «Salam» hat die Compagnie in Alexandria Jenseitsvorstellungen mit Studierenden analysiert und in Bewegung umgesetzt. «Jetzt ist die Performance auf uns als Profis abgestimmt», so die Tänzerin und Choreografin. Neben der Performance wird es auch eine Installation geben, die Besucher:innen vom 25. bis 29. Juli (14 bis 18 Uhr) im Phönix-Theater Steckborn durchwandern können.

Gute Beziehung zum Tod

Die Auseinandersetzung mit dem Tod beschäftigt Heinle nicht erst drei Jahre. «Als Kind mochte keiner mit mir darüber reden. Das war unbefriedigend. Heute denke ich oft an den Tod. Er hat einen festen Platz in meinem Bewusstsein, was nicht bedeutet, dass mich das traurig macht.» Seit zwölf Jahren vertiefe sie ihr Wissen dazu im Bereich der Ägyptologie. Als sie erkannte, wie sehr dort Tanz und Tod zusammenhängen, sei es ein Aha-Erlebnis gewesen. 

Heinle ist die Jenseitsvorstellung der alten Ägypter sympathisch, auch wenn sie diese nicht teilt. «Es gibt in der Unterwelt Nahrung, Essen, Kleidung, aber auch Gefahren. Man braucht Rezepte, wie man damit umgehen kann. Deshalb bekamen die Verstorbenen ihre Totenbücher, Sargtexte oder Wandmalereien mit auf den Weg. Das waren quasi die Spickzettel, um in der Zwischenwelt klarzukommen, nachdem man beim Eintritt über einen Fluss alles aus dem irdischen Leben vergessen hatte.»

 

Claudia Heinle hat ihr Projekt „Duat“ minutiös geplant.

Frei sein war das ultimative Ziel

Die ägyptische Welt war dreigeteilt in Himmel, Erde und Unterwelt. «Das Heilige war überall, und man konnte jederzeit im rituellen Kontext damit in Kontakt treten.» 

Auch in der Unterwelt war man nicht tot, sondern äusserst lebendig. Sie war allerdings eine Sphäre des Verborgenen, des Geheimen. Und sie hatte sehr weibliche Züge, wie Heinle erklärt: «Ohne die Göttinnen Maat – zuständig für die ewige Wahrheit - und Hathor - zuständig für Wandel und Tanz – wurde es schwer mit dem erwünschten Aufenthalt in der Unterwelt. Und auch mit dem Anliegen, sich ungehindert über die Grenzen der Unterwelt hinauszubewegen, hatte man ohne Unterstützung der Göttinnen Probleme.» Frei zwischen Erde, Himmel und Unterwelt zu wandeln war nämlich das ultimative Ziel eines jeden Unterweltlers. Dazu war es äusserst nützlich die Prinzipien von Maat und Hathor zu kennen.

Was Claudia Heinle bewundert, ist die Fähigkeit der alten Ägypter, Dinge anzudeuten, über die man nicht reden konnte, weil sie unbeschreiblich sind. «Das ist ein Eldorado für uns Tanzschaffende. Heute scheinen wir Menschen dafür jeden Sinn verloren zu haben. Die Welt der Toten spielt für uns keine Rolle mehr. Mit dem Verschwinden der freundlichen Unterwelt sind auch die zahlreichen Göttinnen wegrationalisiert worden und mit ihnen wohl auch die ursprüngliche Bedeutsamkeit von Tanz, der sich immer in der Nähe von Tod verorten liess.» 

Das wird keine todtraurige Angelegenheit

«Einen erfrischenden Blick auf den Tod und auf das Leben» verspricht «Duat». Die Installation lädt zum Mitmachen ein. Die Ägypter vor 4000 Jahren seien nicht verbissen und todernst gewesen, so die Fachfrau. «Sie haben ihr Leben genossen wie wir auch. Nur hatten sie dabei zusätzlich ein Bewusstsein für Magisches.» 

Das zu gestalten hat für Claudia Heinle etwas Spielerisches: «Die Kulturtechniken der alten Ägypter bieten eine perfekte Angstbewältigungsstrategie. Unser einziger Feind wäre demnach unsere eigene Gedankenwelt – unser Kopfkino.»

 

Caroline Chevat von der Compagnie Tanz-Raum ist mit für Perkussion, Tanz und Choreografie zuständig.

Ein Labyrinth aus Stoff

Basis der Installation ist ein 40 Meter langes schmales Textilband, das aus alten Leintüchern zusammengenäht ist. «Das Stoffband symbolisiert das kosmische Gewebe und die unsichtbare Trennung der einzelnen Sphären», sagt die Künstlerin. Aufgabe der Besucher ist es, dem verschlungenen Pfad zu folgen, den das Band beschreibt. 

An zwölf Stationen sind kleine Aufgaben zu erfüllen. Die Requisiten dafür stehen bereit. Wenn man seinen persönlichen Dämon benennt und ihn im «Feuersee» verbrennen will, dann bekommt man den passenden Zauberspruch zur Verfügung gestellt. 

Zwölf Stationen zwischen Leben und Tod

«Es sind sehr sinnliche Dinge zu erledigen. Die Teilnehmenden sollen zum Beispiel eine Frucht essen und später dann den Kern einpflanzen. An einem Punkt müssen sie eine Minute unter dem schwarzen Tuch von Maat stillsitzen. Man muss sich darauf einlassen, aber erfahrungsgemäss verschwinden ganze Familien darunter.»

An die Wände werden die Filme projiziert, die Heinle während der Pandemie realisiert hat. Sie hatte sie 2020 im Projekt «Das Band» (siehe Video unten) aufgenommen und bereits innerhalb von «Passion» in der Klosterkirche St. Katharinental, im Kulturzentrum Konstanz und im Kult-X gezeigt. «Diesmal freuen wir uns auf das Lichtdesign im dunklen Bühnenraum. Hier kommt das Labyrinth anders zur Geltung als in hellen Kirchen oder Ausstellungsräumen.»

 

Hoffnung auf 600 Zuschauer:innen

Claudia Heinle hat sich mit «Duat» ordentlich etwas vorgenommen: Sechsmal will sie zwischen dem 25. und 29. Juli das Phönix-Theater in Steckborn füllen. Danach folgen zwei Aufführungen in Konstanz. Auf insgesamt 600 Zuschauer:innen hofft sie. «Es ist nicht das erste Mal, dass wir so viele Leute ansprechen», meint sie zuversichtlich. «Ausserdem wäre der Aufwand für nur zwei Aufführungen nicht nachhaltig gewesen.» 

Allein die Arbeitserlaubnis für die beiden Musiker aus Ägypten zu bekommen, sei nicht einfach gewesen, erzählt sie. «Ich habe das noch nicht so oft gemacht, also fand ich es kompliziert – auch dadurch, dass wir diesseits und jenseits der Grenze auftreten. Ein Schengen Visum reichte da nicht. Also habe ich alles doppelt für beide Länder ausgefüllt, aber jetzt ist es organisiert.» 

Wirtschaftliches Risiko und grosser Aufwand

Kosten entstehen naturgemäss auch: Gebühren für Visa und Arbeitserlaubnisse, die Krankenversicherung und dann noch die Flüge. «Ägyptischer Tanz geht eben am besten mit ägyptischer Musik. Und wir haben gemeinsam mit Amir und Mourad die Komposition bereits in Alexandria bei ‹Salam› mit Leben erfüllt.» 

Ermöglicht wurde der grosse Wurf durch die Transformationsprojekte, die Kulturschaffenden während und nach Corona wieder auf die Beine helfen sollten. «Ohne sie hätten wir nie die Kraft gehabt», meint Claudia Heinle. «Geholfen haben auch die strengen Anforderungen. Bei uns hat es funktioniert: Wir haben unser Publikum eindeutig erweitert.» 

 

Amir Ezzat ist ein renommierter Perkussionist aus Ägypten. 

 

Ohne die Flöte von Mourad Adli würde etwas fehlen.

 

Aufführungen & Tickets

25. bis 29. Juli 2023
Phönix Theater Steckborn

Performance jeweils ab 19.30 Uhr 


Anmeldung bei claudia.heinle@tanz-raum.com

 

Installation jeweils von 14 bis 18 Uhr. Die Reise durch die Installation dauert 20-30 Minuten. Sie ist für Kindern ab 10 Jahren geeignet. Eine Anmeldung ist nicht notwendig.

 

7. bis 8. August 2023
Münster Konstanz, Kinderworkshop „Reise in den geheimen Raum“ am 9. August 10 – 14 Uhr 

 

 

 

 

 

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