von Barbara Brauckmann, 01.10.2024
Vom Fräuli und dem Leuli
Facetten des Mittelalters (3): Auch mit gläsernen Stadtscheiben liessen sich Stadtrechte und Schutzherrschaften belegen. Die Frauenfelder Stadtscheibe ist ein gutes Beispiel dafür. Sie erzählt eine spannende Geschichte. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
«Allianz- oder Stadtscheiben sollten insbesondere im 16. Jahrhundert Wohlstand und Einfluss demonstrieren und wurden als Fensterschmuck in Ratsstuben oder Wirtshäusern angebracht. Dies gilt auch für die Frauenfelder Stadtscheibe, die sich zuvor lange Zeit im Rathaus der Stadt Stein am Rhein befand», schildert der stellvertretende Museumsdirektor von Schloss Frauenfeld Dr. Dominik Streiff.
Zugeschrieben wird sie dem Schaffhauser Meister Thomas Schmid (1490–1555/60), der sich früh für die Belange der Reformation interessierte und am Bildersturm von 1524 teilnahm. Er fiel deshalb und wegen aufrührerischer Reden beim Rat in Schaffhausen in Ungnade und wurde mehrere Jahre aus der Stadt verbannt.
Am Ende seines Lebens war der begabte Maler und Entwerfer von Scheiben-Rissen sogar auf Unterstützung angewiesen. Erst 1891 erwarb die Bürgergemeinde Frauenfeld die Scheibe aus einer Sammlung an einer Auktion in Konstanz.
Abt der Reichenau spielt eine entscheidende Rolle
Damals gehörten dem Kloster Reichenau mehrere Ländereien um Frauenfeld, und bis ins 18. Jahrhundert musste der Zehnte und Früchte, Getreide, Fische, Eier dorthin abgeliefert werden. Die Stadt entstand «auf unserer lieben Frauen Feld». Das war vermutlich zunächst eine Flurbezeichnung in Anlehnung an die Mutter Gottes.
Da die Hauptkirche des Grundbesitzers von Frauenfeld, des Klosters Reichenau, Maria geweiht war und Landschenkungen an Kirchen und Klöster im Mittelalter stets dem namengebenden Heiligen zukamen, erinnert der Stadtname an die Patronin des einstigen Grundherrn. «Mit dem Burgbau wurde etwa 1220 begonnen. Dieser wird in der Mitte der Glasscheibe dargestellt, mit einem Wehrturm mit Anbau, Burggraben und Ringmauer auf einem Felsplateau über dem Murgbogen auf reichenauischem Grund», ergänzt der Historiker Streiff.
Einige Stationen zur Entstehungsgeschichte der Stadt
Erste Urkunden tauchten 1246 über einen Ritter «B. de Vrowinfelt» in Zürich auf, und 1255 wurde ein Ritter Berchtoldus dictus de Boumgarten in Frowinvelt erwähnt. Ab 1264 war Rudolf I. (1218-1291) Graf von Habsburg und Kyburg und später auch von Winterthur, Diessenhofen, Freiburg im Üchtland sowie der Grafschaft Thurgau.
1286 gestattete Abt Albrecht von Reichenau die Anstellung eines Messpriesters für die St.-Nikolaus Kapelle in der Stadt. In dieser Urkunde wird Frauenfeld erstmals «Stadt» genannt. Als Stadtgründer kommen Hartmann IV. von Kyburg als Schirmvogt und Abt Konrad vom Kloster Reichenau als Grundherr in Frage.
Im Jahr 1302 gestattete König Albrecht I. den Bürgern und der Stadt Rechte für einen eigenen Rat, eine eigene Stadtordnung und Rechtsprechung. 1331 erhielt Frauenfeld das erste schriftliche Stadtrecht. Das Schloss wurde 1534 zum Sitz der eidgenössischen Landvögte, welche jeweils für zwei Jahre die Gemeine Herrschaft Thurgau verwalteten und danach wieder in ihre Heimat zurückkehrten.
Eine nicht standesgemässe Verbindung mit Happy End
Das heutige Gemeindewappen von Frauenfeld zeigt einen sich aufbäumenden roten Löwen, der von einer rot gekleideten Frau mit gelbem Kopftuch hinter ihm an einer gelben Kette gehalten wird. Die Farben Rot auf Weiss bestimmen das Wappen des Grundherrn, des Klosters Reichenau.
Der Frauenfelder Löwe entspricht in seiner ersten Darstellung aus dem Jahr 1286 dem Wappentier der Habsburger, die ab 1264 die reichenauische Vogtei über die Stadt ausübten. Die Frau verweist auf das Benediktinerkloster Reichenau, das der heiligen Maria geweiht ist.
«In der Gründungssage ging die Tochter des mächtigen Grafen von Kyburg auf die Jagd, traf dort einen Jäger ein Ritter von Seen aus niederem Adelsgeschlecht. Sie verliebten sich aber, und er wagte es, beim Vater um ihre Hand anzuhalten. Dieser stellte sich jedoch gegen diese Verbindung mit dem nicht standesgemässen Bewerber. Daraufhin bat die junge Frau den Abt der Reichenau um Fürsprache. Der Kyburger stimmte der Heirat schliesslich zu und gab ihr als Mitgift das Stück Land, auf dem das Paar ihren Wohnturm, später Schloss Frauenfeld, bauen sollte. So nahm das Kyburger Fräuli den Leu an die Kette», schmunzelt der Historiker.
Das Frauenfelder Stadtwappen in verschiedenen Variationen
«Es gibt aber noch andere Darstellungen, erzählt er. «Auf der Stadtscheibe von 1553, die vermutlich Niklaus Bluntschli herstellte, halten zwei Engel das Stadtwappen. Auf der Hans Jegli um 1625 zugeschriebenen Stadtscheibe stehen zwei mit grünen Zweigen bekränzte, Stäbe haltende muskulöse Wildmänner neben dem Schild der Stadt.»
Der Löwe auf dem ältesten vorhandenen Siegel der Stadt Frauenfeld von 1286 hängt übrigens noch nicht an der Kette, und die Frauengestalt ist von ihm abgewandt. Erst auf den Fahnen im Alten Zürcherkrieg, als die Frauenfelder für Österreich ins Feld zogen und diese 1438 und 1445 im Kampf an die Schwyzer verloren, hat sich die Frau gedreht. Sie steht nun hinter dem Löwen, den sie an der Kette hält.»
Im reformierten Kirchgemeindehaus im «Suure Winkel» gibt es sogar ein Wappenbild von etwa 1875, auf der eine in weissrot gekleidete Frau den Löwen am Schwanz hält.
In der Serie «Facetten des Mittelalters» wollen wir euch bis zum Jahresende etwa einmal im Monat einen Artikel über wichtige Meilensteine des Mittelalters mit Bezug zur Gegenwart anbieten. Die Texte sollen unterhaltsam sein und Wissenswertes über Klostermedizin, Gärten, Buchwerke, Rechtsprechung, Zünfte, Wein und Rezepturen vermitteln. Dabei machen wir an ganz verschiedenen Orten rund um den Bodensee und in der Ostschweiz Station. Alle Texte der Serie bündeln wir im zugehörigen Dossier.
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- Gab es die Päpstin wirklich? (10.10.2024)
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