von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 11.08.2020
Von Äpfeln und Birnen
Innerhalb von nur zwei Jahren zum fast beliebtesten Museum des Kantons: Das MoMö in Arbon setzt neue Massstäbe. Was ist das Geheimnis dieses Erfolgs? Eine Spurensuche.
Wenn der Kanton in den nächsten Jahren eine Dependance seines Historischen Museums in Arbon baut, dann muss er gar nicht lange suchen, um ein gelungenes Beispiel für einen Museumsneubau zu finden. Es gibt ihn direkt vor Ort: Das Mosterei- und Brennereimuseum MoMö in Arbon. Im Oktober 2018 eröffnet und schon ein Jahr später das zweitbeliebteste Museum im Thurgau: 30’283 BesucherInnen zählte das Museum of Modern Öpfel, wie das MoMö mit vollem Namen heisst, im vergangenen Jahr. Nur das Kunstmuseum in der Kartause Ittingen hatte 2019 ein paar hundert Besucher mehr. Und das gibt es schon seit 37 Jahren.
Der Erfolg des Museums, neben den eindrücklichen Besucherzahlen gab es auch viel Applaus aus der Fachwelt für das Konzept, hat vor allem mit sehr cleverem Marketing zu tun. Allein der geniale Name Museum of Modern Öpfel (MoMö) zeugt von einer erstaunlichen Mischung aus Selbst- und Ironiebewusstsein, die man im Thurgau sonst nicht so häufig findet. Wer auch immer die Idee für diesen Namen hatte, die Familie Möhl sollte ihm oder ihr auf ewig danken. Dazu kommt: Das Thema „Apfel“ ist sehr dankbar oder wie man heute sagt, sehr anschlussfähig in weiten Teilen der Bevölkerung. Zu Äpfeln hat jeder irgendeinen Bezug. So etwas hilft einem Museum.
8 Millionen Franken kostete der Bau des Museums
Auch sonst ist das, was in nur zwei Jahren im Arboner Ortsteil Stachen gewachsen ist, aussergewöhnlich. Ursprünglich mal als Besucherzentrum für das Saft-Unternehmen Möhl über einem unterirdischen Kühllager geplant, ist das MoMö inzwischen längst eine eigene Marke geworden.
Entsprechend gross ist das Selbstbewusstsein im Haus: „Wir sind das nationale Brennerei- und Mostereimuseum“, sagt Paolo Spagnolo, Geschäftsleiter des MoMö. Das war dem Unternehmen einiges wert: Insgesamt acht Millionen Franken kostete der elegante Bau nach einem Entwurf des Zürcher Architekturbüros Harder Spreyermann, umgesetzt haben es letztlich Gamisch Architekten aus Zürich.
Gezeigt wird in dem Gebäude zweierlei: Die konkrete Firmengeschichte der Möhls, aber auch eine allgemeine Geschichte des Mosterei- und Brennereiwesens. Wer noch tiefer einsteigen will, kann mit dem Museumsbesuch auch eine Betriebsbesichtigung bei Möhl buchen. Das Unternehmen macht keinen Hehl daraus, dass es in dem Museum natürlich auch ein Marketing-Instrument sieht. Aber es ist trotzdem weit mehr als ein reiner Selbstbeweihräucherungstempel.
Tipp: Besser nicht mit dem PR-Film starten
Eine Warnung vorweg: Wer skeptisch ist bei von Unternehmen initiierten Ausstellungshäusern, der sollte seinen Rundgang durch das MoMö vielleicht nicht unbedingt mit dem Film über die Geschichte der Familie Möhl starten - man kann darin sehr viele Dinge entdecken, die gegen solche Konzepte sprechen. In ästhetisch inszenierten Bildern werden fein choreografierte Sätze in Thurgauer Landschafts-Idylle gesprochen. Als PR-Film okay, in einem Museum eher schwierig.
Dann lieber gleich in den Ausstellungssaal gehen. Auch dort wird einem zwar die Geschichte der Familie Möhl und ihres Unternehmens erzählt, aber dezenter als im Film und dort ist es nur ein Teil der Ausstellung. Der weit grössere Teil widmet sich tatsächlich den Prozessen in einer Mosterei und Brennerei.
Wie ist der Weg des Apfels vom Baum in die Flasche? Was muss man bei der Produktion bedenken? Wie brennt man eigentlich Schnaps? Und welche Handwerke und Werkzeuge braucht es rund um so einen Betrieb? Hier profitiert das MoMö unter anderem von den Leihgaben der Fachhochschule in Wädenswil: Teilweise mehr als 100 Jahre alte Geräte aus der Lebensmittelproduktion sind so vom Zürich- an den Bodensee gewandert.
Die grosse Stärke des MoMö: Inszenierung und Vermittlung
Nun sind die Exponate das eine, was das MoMö aber wirklich ganz hervorragend macht, ist die Inszenierung der Exponate. Die Zürcher Szenografie-Agentur Aroma hat hier ganze Arbeit geleistet. Seien es die spektakulär übereinander gestapelten Exponate mitten im Raum oder die Erläuterungen des Mostereiprozesses entlang einer langen Wand. In verschiedenen Stationen wird die Produktion beschrieben, hinter Fensterläden können BesucherInnen immer was Neues entdecken, ausprobieren, erleben. Das macht das MoMö gerade für Familien und Kinder so attraktiv.
Es ist ein bisschen wie „Die Sendung mit der Maus“ für jeden. Oder, vielleicht trifft es das eher, diese Wand ist wie eine grosse, begeh- und im besten Sinne begreifbare überdimensionale Infografik. Es gibt in der Ostschweiz kaum ein anderes Museum, das in puncto Inszenierung, Vermittlung und Erlebnis so spielerisch, so sinnlich und so gut ist wie das MoMö.
Diese Lust am Erklären zeigt sich im Grossen an der Wand, aber auch in kleinen Details und kleinen Geschichten. In einem kleinen Kasten illustrieren die Ausstellungsmacher das grosse Problem der Obstbaumfällungen aus den Jahren 1950 bis 1975. Millionen Bäume wurden damals gefällt - auf Anweisung des Staates. Der Grund war das erneuerte Alkoholgesetz von 1932. Ab diesem Jahr fiel der Anbau von Obst und Beeren in die Kompetenz des Bundes. Nach dem Zweiten Weltkrieg machten allerdings die veränderten Exportbedingungen das Ganze zu einem Verlustgeschäft. Und der Bund wollte die Obstbaumwälder schlicht loswerden.
Ein Erfolgsgeheimnis - die Macher sind alle Quereinsteiger
Die Ausstellung zeigt den Naturfrevel in einem einfachen Mobile in einem Glaskasten. Erst stehen die Bäume in voller Pracht, dann, in Corona-Zeiten ausgelöst durch einen Bewegungsmelder, hört man Ritsch-Ratsch-Sägegeräusche vom Band und mit einem mal fallen alle Bäume um. Ein grosses Problem, einfach illustriert und jeder versteht es. Viel besser kann man das nicht machen.
Woran liegt es, dass dieses Museum so anders ist als viele andere Museen? Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass die MoMö-Leute alle keine klassischen Museumsmacher sind. „Wir sind alle Quereinsteiger und immer offen für neue Ideen“, erklärt Paolo Spagnolo. Was ihr MoMö sein sollte und was nicht, haben sie sich genau überlegt: „Wir wollten kein klassisches Museum, sondern eine interaktive Erlebniswelt schaffen. Einerseits. Wir waren uns aber andererseits auch einig, dass wir kein Disneyland mit Apfelsaft schaffen wollen“, sagt der MoMö-Geschäftsführer. Die BesucherInnen sollen im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen. „Für die machen wir das alles schliesslich“, sagt Spagnolo.
Die Frage der inhaltlichen Unabhängigkeit
Bei allem Lob für Inszenierung und Vermittlung muss man aber auch nochmal einen Blick auf die Inhalte werfen. Nicht, dass die nicht seriös aufbereitet wären, aber man stellt sich schon die Frage, wie unabhängig das Museum seine Themen auswählen darf. „Die inhaltliche Entscheidungshoheit liegt letztlich bei der Familie“, sagt Paolo Spagnolo. Eine kritische Aufarbeitung der Firmengeschichte dürfte man im MoMö also eher nicht erwarten.
Aber ist die Unabhängigkeit eines Museums nicht ein wesentlicher Kern, der ein Museum erst zum Museum macht? Ist der Vergleich des MoMö mit anderen Museen im Kanton also letztlich ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen? Geschäftsführer Paolo Spagnolo weiss um das Dilemma, wirklich auflösen kann er es aber nicht. „Natürlich versuchen wir über das Museum auch, unsere Produkte zu verkaufen. Aber wir versuchen es, möglichst dezent zu machen“, sagt Spagnolo. Im Museums-Shop bekommen zum Beispiel auch andere Anbieter und kleinere Brennereien einen Platz.
Eine Folge von Corona: Die Besucherzahlen sind eingebrochen
Im Moment hat Paolo Spagnolo ohnehin andere Sorgen. Sie bestehen aus sechs Buchstaben: Corona. Die Besucherzahlen sind 2020 im Vergleich zu 2019 um zwei Drittel eingebrochen. „Eine schwierige Situation für uns als junges Museum, aber wir schaffen das“, sagt Paolo Spagnolo. Sein Plan: Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll das MoMö kostendeckend arbeiten. Ohne Corona wäre es wohl schneller gegangen.
Was dem MoMö jetzt hilft: Dank des grossen Aussenbereichs mit Spielplatz und Wildbienen-Blumenparadies können sich die BesucherInnen verteilen auf dem Gelände und verweilen. Positive Nachrichten wie die Nominierung für den European Museum of the Year Award 2020 helfen dabei, das MoMö im Gespräch zu halten. Selbst wenn man den Preis nicht gewinnt (was wahrscheinlich ist, angesichts grosser internationaler Konkurrenz), hat man doch wieder mal auf sich aufmerksam gemacht.
Und wie wird das, wenn in ein paar Jahren das kantonale Historische Museum seine Arboner Niederlassung eröffnet? Keine Angst vor der Konkurrenz? Paolo Spagnolo lächelt. „Nein, wirklich nicht“, sagt er, „ich habe mich über die Nachricht sehr gefreut. Ein neues Museum stärkt auch alle anderen bestehenden hier.“
Besucherzahlen: Das MoMö zählt zu den beliebtesten Museen im Kanton Thurgau
Die Öffnungszeiten und die Tickets
Mo/Di geschlossen
Mi 9 bis 18:30 Uhr
Do/Fr 9 bis 21 Uhr
Sa/So 9 bis 17 Uhr
Letzter Museumseinlass 1 Stunde vor Schliessung.
Tickets: Der Einzeleintritt für das Museum kostet 9 Franken und ist für Kinder unter 16 Jahren in Begleitung Erwachsener kostenlos. Gruppen ab 10 Personen sollten sich vorher beim Museum anmelden. Das geht über ein Online-Formular auf der Website des Museums.
Betriebsbesichtigung: Wer neben dem Museum auch eine Betriebsführung erleben will, kann das über die Website des Museums erledigen.
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