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von Isabel Schenk, 02.05.2024

Wohin mit all der Kunst?

Wohin mit all der Kunst?
Die vier studentischen Kuratorinnen (von links nach rechts: Louisa Wahl, Helena Brkić, Kornelia Wägenbaur, Lisa-Maria Kleiner) sind alle an der Universität Konstanz im Fach Literatur-, Kunst-, und Medienwissenschaften eingeschrieben. | © Isabel Schenk

Das Kunstlabor, ein Projekt des Kunstraumes Kreuzlingen und von Studierenden der Universität Konstanz, nimmt in acht Ausstellungen verschiedene Perspektiven auf das Werk von Richard Tisserand ein. Kuratiert werden die einzelnen Ausstellungen von den Studierenden. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Was geschieht mit all dem, was ein Mensch zurücklässt, wenn er stirbt? Und was, wenn dies nicht nur ein paar alte Möbel, vergilbte Fotos oder einige Papiere sind, sondern mehrere Kisten mit hunderten Kunstwerken? Diese Fragen stellten sich auch Ulrich Vogt und Reto Müller vom Kunstraum Kreuzlingen. Nach dem Tod von Richard Tisserand, Künstler und langjähriger Kurator des Kunstraumes, lagert dessen künstlerischer Nachlass zurzeit im Kunstraum. Sein Nachlass kann dabei als Fallbeispiel verstanden werden, um darüber nachzudenken, was eine kunstschaffende Person nach ihrem Tod eigentlich hinterlässt und wie damit umgegangen werden soll.  

 

Vita von Richard Tisserand

Richard Tisserand, bürgerlich eigentlich Richard Weber, wurde 1948 in Eschenz geboren. Nach seiner Schulzeit verliess er die Schweiz, lebte 1970 ein Jahr in Wien und übersiedelte 1971  nach Paris. Aus diesem Jahr stammt auch sein Künstlername Tisserand. Bis zu seinem Tod arbeitete und lebte er sowohl in Paris, als auch in Schweiz. Seit 2005 war er Chefkurator im Kunstraum, daneben engagierte er sich auch in der Kulturförderung des Kantons Thurgau. Kurz vor seinem Tod 2022 zeigte der Kunstraum sein «Oeuvre complète». Tisserand experimentierte mit unterschiedlichen Materialien. Besonders die Polaroid-Fotographie und die Hinterglasmalerei prägten sein künstlerisches Werk. 

Einen Nachruf auf den Künstler und Kurator kannst du hier lesen.

 

Im Kunstlabor wird über den Umgang mit Künstler*innen-Nachlässen, wie jenem vom Tisserand, nachgedacht. Federführend sind dabei für einmal nicht die Kuratoren Vogt und Müller, sondern Studierende der Universität Konstanz. Bild: Isabel Schenk

Achtteiliger Ausstellungszyklus aus einem Nachlass 

Initiiert wurde das Projekt von Ulrich Vogt und Reto Müller sowie Anna d’Avino und Lisa Braun, zwei Absolventinnen der Universität Konstanz. Sie organisieren das so genannte Kunstlabor und unterstützen es wissenschaftlich, während die beiden Kuratoren und die Studierenden sich um die Kuratierung kümmern. 

Jede und jeder der acht Studierenden gestalten eine eigene Ausstellung, die jeweils für einen knappen Monat im Kunstlabor gezeigt wird. Das Kunstlabor ist gleichzeitig ehemalige Küche, Lager und nun eben auch Ausstellungsraum. Eröffnet werden die Einzelausstellungen jeweils mit einem Barabend statt einer Vernissage.

Was bisher gezeigt wurde

Die erste Ausstellung, kuratiert von Sascha Boss, mit dem Titel «Siebenhunderteinundsechzig Werke» ging den Quantitäten des Gesamtwerks nach: So wurde etwa die Fläche aller Werke oder die potentielle Höhe aller aufeinandergestapelten Werke mit dem Eifelturm oder der Cheops-Pyramide verglichen. Gezeigt wurde bei dieser Ausstellung übrigens kein einziges Werk. 

Unter dem Titel «Nonchalant» ging Fabian Hugo Höfler der Frage nach, inwiefern sich der Charakter von Tisserand und eine gewisse Nonchalance im Werk von Tisserand zeigt. Höfler konzentrierte sich dabei auf die von Tisserand gemacht Polaroidfotos, welche Skizze wie Ausgangspunkt für weitere Werke waren, in dem er sie mit schnellen Pinselstrichen und einer besonderen Leichtigkeit bearbeitete und bemalte.

Annäherung an die Hinterglasmalerei

Die Studentin Helena Brkić konzentrierte sich im dritten Teil der Serienausstellung unter dem Titel «Verdeckte Erscheinungen» auf die Arbeitsweise(n) von Tisserand. In der Ausstellung fokussierte sie sich auf die Hinterglasmalereien. Bei dieser Technik wird zuerst das zuvorderst sichtbare auf die Glasscheibe aufgetragen, nach und nach werden die Hintergründe auf die Glasplatte übertragen. 

Diese Technik ermöglicht eine bessere Tiefenwirkung, als dies etwa bei der Arbeit mit Ölfarbe möglich ist. Vorbild für die Bilder waren dabei wiederum häufig Polaroidfotos, deren quadratische Form sich in den Werken Tisserands zeigen. Wie Tisserand beim Malen seiner Hinterglasmalerei-Werke sahen auch die Besucher und Besucherinnen diese Polaroidfotos nur durch das Glas (einer Vitrine). Für Brkić war es eine Herausforderung, so sagte sie im Interview, sich bei der Kuratierung mehr auf ihre Intuition, als auf ihren Kopf zu verlassen und der «denkenden Hand» zu vertrauen.

In der vierten Ausstellung «Zwischen Text und Textur. Eine Spurensuche» zeigte Linn Petrat Arbeiten von Tisserands, in denen Textfragmente, vermeintliche Buchstaben und Texte das alltägliche Verständnis von Schrift als Informationsübermittlungsmedium hinterfragen. Welche Bedeutung haben Schriftzeichen, wenn sie keine Worte ergeben, nicht entschlüsselt werden können oder wenn zusammenhängende Texte auseinandergeschnitten oder mit Farbe übermalt und unleserlich gemacht wurden? 

 

Ist das ein Bild oder sind es zwei und wurden nur vergessen auseinander zu schneiden? Beide quadratische Hälften hätten schon eine eigene Signatur… Bild: Isabel Schenk

Was noch geplant ist im Kunstlabor

Seit dem 5. April 2024 ist die von Kornelia Wägenbaur kuratierte Ausstellung «Dualität. Gegensatz oder Variation im Werk von Richard Tisserand» im Kunstlabor zu sehen. Diese Dualität zeigt sich nicht nur in den sich gegenübergestellten Polaroid, sondern auch in den Bildern Tisserands, die etwa monochrome mit detailreich bemalter Fläche vereinbaren. 

Bis Ende Juni entstehen noch drei weitere Ausstellungen. Am 3. Mai präsentiert Lisa-Maria Kleiner eine Ausstellung und wird sich dabei auf die einzelnen Punkte fokussieren, die erst in der Gesamtschau ein Werk ergeben.

Die Ausstellungen im Juni und Juli werden von Louisa Wahl und Julius Kleinbach vorbereitet. Erste Werke sind zwar schon ausgesucht, wie und ob diese zusammenpassen und welches Oberthema gewählt werden soll, wird sich aber erst noch herauskristallisieren.

 

Die Trennung zwischen Lager und Ausstellungsraum entfällt, Ausstellungswand und die potentiellen Ausstellungsobjekte stehen sich direkt gegenüber. Bild: Isabel Schenk

 

Eine Herausforderung für die Studierenden war es, sich beim Kuratieren vom theoretischen Wissen, das sie an der Universität erlernt hatten, ein Stück weit zu lösen und ihrer Intuition zu folgen. Danebst übernahmen die Studierenden aber auch Aufgaben in der Öffentlichkeitsarbeit, beim Aufbau und der Dokumentation des Kunstlabors und der einzelnen Ausstellungen.  

Sie schätzen die Möglichkeit neben dem Studium bereits praktische Erfahrungen sammeln zu können. «Wir wurden immer wieder ermutigt, über das machbare hinaus zu gehen. Wenn scheitern, dann grandios», sagten sie. Sicherheit geben die Gespräche mit Ulrich Vogt und Reto Müller, aber auch die Zusammenarbeit mit den anderen Studierenden, die sich gegenseitig beraten und beim Aufbau der Ausstellungen helfen.

 

Kommende Veranstaltungen

3. Mai 2024     Barabend zur Ausstellungseröffnung von Lisa-Maria Kleiner
31. Mai 2024   Barabend zur Ausstellungseröffnung von Louisa Wahl
28. Juni 2024  Barabend zur Ausstellungseröffnung von Julius Kleinbach

 

Die Ausstellungen sind an den Barabenden und auf Anfrage zu besichtigen.

 


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