von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 11.06.2020
Aufbruch oder Stillstand?
2020 sollte eigentlich das Jahr für das Kreuzlinger Kulturzentrum Kult-X werden. Dann kam erst Corona. Und später auch noch bürokratische Hürden. Jetzt droht ein weiteres Jahr Flickschusterei.
Eigentlich könnte Christine Forster bester Laune sein. Das von ihr seit Anfang 2019 geleitete Kulturzentrum Kult-X auf dem ehemaligen Kreuzlinger Schiesser-Areal entwickelt sich gut. Im vergangenen Jahr gab es zahlreiche Veranstaltungen, rund 6000 BesucherInnen waren 2019 nach Zahlen der Projektchefin im Haus. Die Vision eines Mehrspartenhauses, in dem nicht einfach nur Dinge stattfinden, sondern in dem die einzelnen Veranstalter auch mal gemeinsam etwas ganz Neues schaffen, wurde konkreter. Und das obwohl das ganze Projekt noch immer in einer oft improvisierten Pilotphase läuft. Keine schlechte Bilanz also.
Trotzdem: Wer Christine Forster in diesen Tagen trifft, der merkt, dass sie nicht wirklich glücklich ist. Das liegt allerdings weniger an der Vergangenheit, sondern mehr an der Gegenwart beziehungsweise Zukunft des Kult-X. Dem Projekt mit den zig Jahren Vorlauf und der schier unendlichen Zahl an Planungs-Sitzungen (siehe Kasten unten) droht mal wieder der Stillstand. Das hat ein bisschen was mit der Corona-Pandemie zu tun, vor allem aber mit neuen bürokratischen Hürden.
„Die nächsten zwei, drei Monate entscheiden darüber, was aus dem Projekt wird.“
Christine Forster, Projektleiterin
Ursprünglich sollte das Kult-X spätestens im Herbst mit drei weiteren Räumen in die neue Saison starten. Mit grossem Engagement hat Christine Forster mit Freunden und Helfern den Ausbau ehrenamtlich vorangetrieben. Im Erdgeschoss sollte ein Raum entstehen, in dem kleinere Veranstaltungen stattfinden können. Die Kreuzlinger Ludothek war als Partner gewonnen, so sollte der Raum regelmässig belebt und, im wahrsten Sinne des Wortes, bespielt werden.
In der ersten Etage sollten neben dem bestehenden Kino- und Theatersaal zwei weitere Räume für jeweils bis zu 100 Personen in Betrieb gehen. Einer hauptsächlich für klassische Konzerte, Literaturveranstaltungen, Tanz und ein weiterer für Jazz- oder Rockkonzerte. Nachdem der Club Z88 sich aus dem Kult-X zurückgezogen hatte, wollte dort unter anderem die Gesellschaft für Musik und Literatur (GML) Kreuzlingen ihre Abonnement-Konzerte veranstalten.
Das Problem: Baubewilligungen fehlen
„Wir haben alles geplant, viel in Eigeninitiative und unentgeltlich hergerichtet, dann hiess es plötzlich. Stop, es geht nicht weiter“, sagt Projektleiterin Forster im Gespräch mit thurgaukultur.ch Der Grund dafür: Für die Umnutzungen und den Umbau der Räume fehlten Baubewilligungen. Alle Arbeiten mussten erstmal unterbrochen werden. Dabei habe sie das Beste aus der Corona-Pause machen wollen, sagt Forster: „Wir dachten, wir nutzen die Zeit für den Umbau, um im Herbst parat zu sein und frisch starten zu können“, so die Kult-X-Chefin. Um so enttäuschter war sie über den neuerlichen Stillstand.
Ob der Neustart im Herbst wirklich klappt, steht in den Sternen. „Man kann derzeit nichts versprechen. Ziel ist es, nach den Sommerferien mit dem zweiten grossen Veranstaltungsraum baulich fertig zu sein“, sagt Dorena Raggenbass, zuständige Stadträtin für Kultur. Derzeit warte man noch auf die Baubewilligung durch den Kanton, fügt sie an. Der Umweg über den Kanton ist in dem Fall deshalb notwendig, weil sich die Gemeinde, die Baubewilligung für ein städtisches Projekt auf einer städtischen Liegenschaft nicht selbst ausstellen darf.
Beim Kanton weiss man nichts von dem Bauprojekt
Das Problem an der Sache: Beim zuständigen kantonalen Amt für Raumentwicklung weiss man nichts von einem solchen Gesuch aus Kreuzlingen. „Ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber in unseren Datenbanken ist kein solches Gesuch verzeichnet“, sagt Jürg Dünner vom Amt für Raumentwicklung, wenn man ihn danach fragt, wie lange die Genehmigung dauern werde. „Da müssen Sie sich an die Stadt wenden“, so Dünner.
Auf erneute Nachfrage räumt Dorena Raggenbass per Mail ein: „Das Baugesuch liegt zur Vorabklärung zur Zeit in unserer Bauverwaltung, je nach dem müssen wir noch Unterlagen nachreichen, dann erst geht es zur Bewilligung zum Kanton“, schreibt die Stadträtin. Sie bittet um Verständnis, es seien schliesslich lange und umfangreiche Baugesuchsverfahren. Brandschutzkonzept, Parkplatzsituation, Hygiene, Küche, das seien immer viele Einzelerklärungen und Dokumente. Bis Mitte Juni soll dann wirklich alles beim Kanton eingereicht sein.
Der ursprüngliche Zeitplan ist nicht mehr zu halten
Mit anderen Worten: Es könnte noch dauern, bis die Genehmigungen da sind und der Umbau weitergehen kann. Und das bedeutet, es werden wohl eher mehr als weniger Verzögerungen. Raggenbass gibt sich trotzdem zuversichtlich: „Wir werden alle geplanten und budgetierten baulichen Massnahmen umsetzen können.“ Tatsächlich wird genau das jedoch kaum möglich sein: Ursprünglich sollten laut Betriebs-Zeitplan bereits ab Mai Veranstaltungen im Erdgeschoss laufen, im neuen Multifunktionssaal ab Ende August.
Dass zeitnah etwas in dem Bistro im Erdgeschoss stattfinden könnte, hält Christine Forster für ausgeschlossen: „Momentan ist der Raum eine stillgelegte Baustelle. Ein Bistro, eine Küche kann nicht eingerichtet werden, da der Wasseranschluss und diverse notwendige Steckdosen fehlen. Und für den Veranstaltungsraum fehlt eine angemessene Beleuchtung. Wenn kein Wunder geschieht, werden wir diese Anschlüsse, die uns ursprünglich für diesen Sommer versprochen wurden, vor Ende Jahr nicht haben“, sagt Forster.
„Man kann derzeit nichts versprechen. Ziel ist es, nach den Sommerferien fertig zu werden.“
Dorena Raggenbass, Stadträtin für Kultur und Gesellschaft (Bild: Inka Grabowsky)
Stadträtin Dorena Raggenbass bleibt dennoch dabei: „Wir werden, die Sanierungen, die keine bauliche Bewilligung brauchen, fertig stellen, so dass dadurch kein Verzug der Nutzung des neuen Raums entsteht. Der Betrieb sollte ab Herbst weiter Fahrt aufnehmen können.“ Was mit all den für den Herbst geplanten Veranstaltungen passiert, wenn die Räume nicht rechtzeitig fertig werden, ist offen. Ein Teil davon könnte in einen anderen Raum im Gebäude verlegt werden, manches müsste aber wohl auch verschoben werden.
Für Kult-X-Projektleiterin Christine Forster muss sich das mittlerweile so anfühlen: Mit jedem Problem, das sie löst, bekommt sie postwendend ein neues auf den Tisch. Als klar war, dass das Z88 aus dem Kulturzentrum aussteigt, suchte sie einen neuen Partner und fand die GML. Als die Konzertpläne dort feststanden, wurde klar, dass der für die GML angedachte Raum nicht rechtzeitig zum Saisonstart fertig werden könnte wegen der fehlenden Baubewilligungen. So geht das jetzt seit Wochen für Forster und die ehrenamtlichen Helfer des Kult-X.
Ob sie da nicht mal genug von all dem hatte und am liebsten hingeworfen hätte? „Es gibt bessere und schlechtere Tage. Aber ich bin eigentlich noch guten Mutes. Ich kann jetzt nicht aufgeben. Dazu haben wir hier schon zu viel aufgebaut“, sagt Forster.
„Ich kann jetzt nicht aufgeben. Dazu haben wir hier schon zu viel aufgebaut.“
Christine Forster, Projektleiterin
Tatsächlich ist die Vision, die zu dem Projekt überhaupt geführt hat, immer noch zu verlockend. Es könnte etwas wirklich Grosses im kleinen Kreuzlingen entstehen. So sahen es zumindest auch die Pläne des Architekturbüros Andreas Hermann AG vor. Demnach sollte neben den Umnutzungen im bestehenden Gebäude ein baufälliger Teil im ersten Obergeschoss komplett abgetragen werden und dann ein neuer Raum auf das bestehende Gebäude gepflanzt werden. Aussen schnörkellos und klar, innen so ausgebaut, dass Kultur endlich auch unter professionellen Bedingungen möglich wäre. Der Haken an der Sache: Finanziell würde das ein Bau, der ziemlich sicher der Zustimmung eines Volksentscheids bedürfte.
Die Frage, ob die Kreuzlinger Politik nach der Corona-Zeit noch den Mut zu einer solchen Investition hat, kann man im Moment nicht verlässlich beantworten. Immerhin: Ganz aufgegeben hat man das Projekt noch nicht. Die Pläne liefen wie vorgesehen weiter, bestätigt Dorena Raggenbass. Nur spricht man derzeit nicht so gerne laut darüber. Man will ja keine schlafenden Hunde wecken. Nachdem die Stadt mit ihren Plänen für den Neubau eines Stadthauses vor dem Thurgauer Verwaltungsgericht abgeblitzt ist, ist man offenbar vorsichtiger geworden.
„Im Moment wird das Projekt ein bisschen ausgebremst, die Politik unterstützt es auch nicht mit dem Drive, den es bräuchte.“
Kurt Schmid, Autor des Kreuzlinger Kulturkonzeptes
Wird das also alles noch was mit dem Kulturzentrum in Kreuzlingen? Kurt Schmid überlegt kurz, wenn man ihm diese Frage stellt. Schmid begleitet das Projekt seit Jahren. Für die Stadt Kreuzlingen hat er ein Kulturkonzept geschrieben, in dem das Kult-X eine tragende Rolle einnimmt. „Im Moment wird das Projekt ein bisschen ausgebremst, die Politik unterstützt es auch nicht mit dem Drive, den es bräuchte“, sagt Schmid.
Dabei hat sich die Stadt Kreuzlingen in den vergangenen Jahren durchaus um das Kulturzentrum bemüht. Es gab viele Gesprächsrunden, das Budget hat sich seit 2018 mehr als verdoppelt auf aktuell 104’000 Franken pro Jahr. Davon gehen allerdings mehr als die Hälfte (64’000 Franken) für die Miete drauf. Und: Im Finanzplan 2020 - 2023 der Stadt bekommt der Ausbau des Kulturzentrums einen angemessenen Platz: Insgesamt 10 Millionen Franken sollen demnach in den nächsten vier Jahren investiert werden in das Projekt. Das war allerdings vor Corona. Inwieweit sich die städtische Finanzplanung durch die Pandemie verändert, ist noch unklar.
Trotzdem hofft Kurt Schmid weiter auf die grosse Lösung. Die Architekten hätten in ihrem Konzept einen klaren und klugen Weg vorgegeben. „Nach Corona ist eigentlich noch klarer, dass man nur mit einem schlüssigen Konzept die baulichen und strukturellen Probleme des Gebäudes lösen kann. Es braucht ein gutes Wegekonzept, um die Veranstaltungen voneinander zu trennen, ebenso braucht es gute Lüftungssysteme. Flickschusterei bringt einen da nicht weiter. Professionelle Lösungen sind wichtiger denn je“, sagt Schmid.
Spätestens im Herbst heisst es: Hopp oder top?
So oder so: In diesem Jahr wird sich zeigen, wohin der Weg des Kult-X führt. Gelingt der endgültige Aufbruch oder kommt der dauerhafte Stillstand? Am 23. Juni soll die Gründungsversammlung des Trägervereins stattfinden. Im Juni sollte ursprünglich auch eine Gemeinderats-Kommission das Kult-X besuchen zur weiteren Vorbereitung politischer Entscheidungen. Dieser Besuch ist coronabedingt auf den August verschoben werden. Dementsprechend verschieben sich auch alle weiteren möglichen Beschlüsse. Spätestens zu den Budget-Beratungen im Herbst wird die Stadt Farbe bekennen müssen, wie es weiter geht.
„Wir haben gezeigt, dass der Bedarf eines Kulturzentrums besteht. Jetzt hoffe ich, dass das Projekt durch die Verzögerungen nicht verlangsamt wird“, sagt Dorena Raggenbass. Oder wie es Kult-X-Chefin Christine Forster ausdrückt: „Die nächsten zwei, drei Monate entscheiden darüber, was aus dem Projekt wird.“
Das Projekt Kult X
Die Vorgeschichte: 2008 hat die Stadt das ehemalige Schiesser-Areal 2008 für 2,1 Millionen Franken gekauft. Nach dem Kauf des Areals 2008 ist erstmal lange nichts passiert. Im Frühjahr 2012 gab es dann Zwischennutzungsversuche mit dem Kultur-im-Shop-Konzept. Initiiert damals schon von der heutigen Projektchefin Christine Forster. Das kam gut an. Mehr als 1000 Unterschriften wurden gesammelt für die Schaffung eines Kulturzentrums. Und dann passierte erstmal wieder: nichts. Ein Jahr später wurde eine neue Arbeitsgruppe eingesetzt, um ein Nutzungskonzept für das Areal zu erstellen. Im selben Jahr liess die Stadt eine Machbarkeitsstudie über das Gesamtareal erstellen. Und dann passiert erstmal wieder: nichts. Ja, sagt Dorena Raggenbass, zuständige Stadträtin für Kulturfragen in Kreuzlingen, es habe immer wieder bedauerliche Denkpausen bei dem Projekt gegeben. Woran das lag? „In der Politik gibt es eben auch zwei Lager zu dem Thema: Die einen, die das Kulturzentrum wollen und die anderen, die nur die Kosten sehen“, räumt Raggenbass ein.
Die Vision: Bildende Kunst, Kino, Theater und Musik sollen eine neue zentrale Heimat in dem Kulturzentrum auf dem ehemaligen Schiesser-Areal bekommen. Es soll Platz für Ateliers, Künstlerwohnungen, Proberäume, einen Konzertraum und einen multifunktionalen Theater- und Kinosaal geschaffen werden. Mit eigener Kulturbeiz und dem Ziel, dass alle beteiligten Projektpartner nicht nur ihr Programm abspulen, sondern gemeinsam auch Neues schaffen: neue Veranstaltungsformate erdenken, Grenzen sprengen und die kulturelle Kraft der Stadt zum Leuchten bringen.
Die Finanzierung: Die Stadt Kreuzlingen zahlt laut städtischem Budget 2020 104’000 Franken pro Jahr für den Betrieb des Kulturzentrums Kult-X. Mehr als die Hälfte davon (64’000 Franken) geht allerdings für die Miete des Gebäudes drauf. Perspektivisch strebt das Kult-X auch eine Unterstützung seitens des Kantons an. Entsprechende Anträge seien beim kantonalen Kulturamt eingereicht, sagt Christine Forster. Insgesamt 100’000 Franken (75’000 für die Infrastruktur, 25’000 für das Programm) habe man beantragt. Inzwischen sind die Gelder auch bewilligt.
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