von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 04.11.2019
In den Ketten der Politik
In der Debatte um die Zukunft des Historischen Museums geht es bislang zu selten, um die, die eigentlich im Mittelpunkt stehen sollten - die Besucher. Warum sich das ändern sollte.
Keine Frage: In der öffentlichen Diskussion über die Zukunft des Historischen Museums Thurgau werden wichtige Fragen erörtert. Wo soll das Museum stehen? Was soll gezeigt werden? Und was bedeutet das für den Museumsbetrieb? Eine wesentliche Frage in diesem ganzen Komplex ist bislang - zumindest öffentlich - vollkommen unterbelichtet: Was erwarten eigentlich die Besucher von einem Museum?
Dabei sollte doch genau das im Zentrum stehen. Denn: Ohne Besucherinnen und Besucher nützt das beste Museum nichts. Also: Was will das Publikum von einem Museum? Grob gesprochen sind es vor allem drei Dinge: Eine gute Erreichbarkeit (digital wie analog), attraktive Inhalte und eine dazu passende attraktive Hülle, sprich, die Architektur des Gebäudes sollte so klug konzipiert sein, dass man das Haus immer wieder gerne besucht. Wer mehr wissen will: Der Verband der Schweizer Museen hat rund um „den Besucher“ auch einen Leitfaden herausgegeben.
Was für den einen attraktiv ist, kann für den anderen langweilig sein
Freilich: Die Bezeichnung „attraktive Inhalte“ wird man konkretisieren müssen. Denn was für den einen attraktiv ist, kann für die andere furchtbar langweilig sein. Der Museumspsychologe Holger Höge hat sich intensiv mit den Erwartungen von Besuchern an Museen beschäftigt. Sein Fazit: „Besucher und Besucherinnen erwarten, dass der Ausstellungsbesuch unterhaltsam ist und sie neue Einsichten erhalten.“ Interaktive Exponate seien zudem wichtig: „Selber tätig zu werden, ist immer noch ein Highlight für Besucherinnen und Besucher. Nur stehen und lesen ist für die meisten zu wenig“, so Höge in einem Interview mit dem Online-Portal kulturmanagement.net.
Das sind nun keine revolutionären Gedanken und doch hat man bisweilen das Gefühl, dass derlei Fragen in der Debatte um das kantonale Historische Museum bislang maximal am Rande eine Rolle spielen. Fast so scheint es, als sei die vom Regierungsrat eingesetzte Projektgruppe vollauf damit beschäftigt, die Interessen der einzelnen Regionen und die Anforderungen des Museums in Einklang zu bringen. Das ist sicher eine schwierige Aufgabe, aber wäre es nicht zentraler, erstmal zu fragen, was man mit einem möglichen Erweiterungsbau eigentlich will? Und an wen sich ein solcher Neubau wenden sollen?
Was soll es sein? Tourismusprojekt oder Thurgauprojekt?
Ein Beispiel: Die Entscheidung für einen Standort fiele viel leichter, wenn man sich klar entscheiden würde, für wen das Museum eigentlich sein soll: Ist es ein Projekt, das den Tourismus ankurbeln soll oder ist es eher für die einheimische Bevölkerung gedacht? Soll es ein nach aussen, touristisch geprägtes Vorhaben sein, dann müsste das Museum in Arbon stehen, weil in der Bodenseeregion deutlich mehr Touristen unterwegs sind als in Frauenfeld. Soll es ein nach innen wirkendes Projekt sein, dann müsste das Museum in Frauenfeld stehen, weil dort viele Menschen leben und es ein zentraler Ort im Kanton ist, der von allen Richtungen aus gut erreichbar ist.
Aktuell läuft es offenbar eher auf eine Sowohl-als-auch-Lösung hinaus. Paul Roth, Leiter der Arbeitsgruppe, hatte zuletzt angedeutet, dass sowohl Frauenfeld als auch Arbon Teile des Historischen Museums erhalten könnten. Ob das ein kluger oder ein fauler Kompromiss wäre, lässt sich heute noch nicht abschliessend beantworten. Klar aber ist - es wäre eine politische Lösung.
Politik und Effizienz bestimmen die Arbeit der Projektgruppe
Und vielleicht ist genau das das Problem der vom Regierungsrat initiierten Arbeitsgruppe. Ein Vorteil solcher interdisziplinär besetzten Gruppen ist oft, dass sie ein Über-den-Tag-hinaus-Denken ermöglichen. Auch ungewöhnliche Gedanken können hier gesponnen werden. Eigentlich.
Im konkreten Fall des Historischen Museums Thurgau scheint das anders. Zumindest in dem was nach aussen wahrnehmbar ist, agiert die Gruppe um Paul Roth nicht so frei, wie man es hoffen würde. Sie argumentiert vor allem politisch. „Politik ist die Kunst des Machbaren“, hatte Paul Roth jüngst in Arbon gesagt und auf die Zwänge in der Sache verwiesen.
Kann der kleinste gemeinsame Nenner ein grosser Wurf werden?
Das ist ja nicht falsch. Aber wenn schon eine der Politik vorgeschaltete Arbeitsgruppe primär politisch denkt und dem Regierungsrat quasi die Arbeit abnimmt - wie kreativ dürfen die präsentierten Empfehlungen dann sein? Wäre es nicht klüger, hier grösser zu denken und in einem Wettstreit der Ideen auf das beste Konzept zu setzen statt auf den kleinsten gemeinsamen Nenner?
Zugegeben: Ein solch offenes Verfahren würde mutmasslich mehr Zeit brauchen als der effizienz-orientierte Plan, auf den es nun hinaus läuft. Und angesichts der Nöte im Museum und den verplemperten Jahren in der Vergangenheit, haben auch mehr Zielgerichtetheit und Effizienz ihren Reiz. Die Frage allerdings ist, ob unter diesem Druck eine nachhaltige Lösung möglich ist, die nicht nur kurzfristige Interessen befriedigt. Oder ob stattdessen etwas mehr Gedankenfreiheit dem Gesamtprojekt ganz gut tun würde.
Zum Schluss: Ein Rat von aussen
Vielleicht hilft zum Schluss noch ein Blick von aussen. Andreas Rudigier, Direktor des Vorarlberg Museum in Bregenz, hat 2013 einen Neubau seines Museums eröffnet. Sein Rat: „Es ist wichtig, zu wissen, was man will und wofür man steht.“ Klingt nach einer Aufgabe, der man sich im Thurgau noch stellen muss.
Weiterlesen: Wie kann das Museum der Zukunft aussehen? Sibylle Lichtensteiger vom Stapferhaus Lenzburg und Andreas Rudigier vom Vorarlberg Museum Bregenz zur Frage, was ein Museum im 21. Jahrhundert leisten sollte.
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