von Maria Schorpp, 16.08.2023
Die Prinzessin macht Yoga und mag keine Prinzen
„Dornröschen“ ist bei den Schlossfestspielen Hagenwil nicht nur ein schönes Kind, sondern hat auch das Herz auf dem rechten Fleck. Eine Märcheninszenierung mit viel frechem Witz, einigen Seitenhieben auf das erwachsene Begleitpersonal und einem spielfreudigen Ensemble. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Richtig hygienisch ist das ja nicht. Kaum guckt mal niemand, wird vom Kuchenteig genascht und der Rührlöffel abgeschleckt. Ben, der Küchenlümmel. Ganz arg wird es, wenn dann auch noch sein Kumpel Bodo auf der Bildfläche erscheint. Der darf auch einen Mundvoll nehmen. Bodo ist – eine Ratte.
Was mögen Kinder aber lieber, als wenn genau das, was sie zu Hause eingetrichtert kriegen, andernorts hintertrieben wird? Kind sein heisst, dass der angeborene Anarchismus noch nicht ganz abtrainiert worden ist. Die Ab-Vierjährigen im Innenhof des Hagenwiler Wasserschlosses waren bei der Premierenvorstellung von „Dornröschen“ jedenfalls begeistert von diesem Punk-Duo.
Mischa Löwenberg und seine Handpuppe sind Ben und Bodo, die demonstrieren, wie ein Märchen funktioniert: Da ist eine relativ kompakte Geschichte, ein Erzählgerüst quasi, an dem sich die Phantasie emporhangelt. Schliesslich ist die Episode mit dem Küchenjungen in Grimmschen Märchen lediglich wenige Sätze lang. „Dornröschen“ ist in der Phantasie der Hagenwiler Produktion um Florian Rexer ein grosser Spass mit kindgerecht aufgearbeitetem lebensernsten Hintergrund. Die Liebe ist stärker als der Tod – solche Sätze entfalten erst im Märchen ihre volle Kraft.
Auf demokratischer Augenhöhe
Eigentlich heisst die Prinzessin Rosa, Dornröschen ist ihr Kosename. Unser Dornröschen. Sarah Herrmann spielt sie märchenhaft bezaubernd, als eine, die das Herz am rechten Fleck hat und mit Ben und Bodo gut demokratisch auf Augenhöhe agiert. Zudem macht sie Yoga. Ihren Widerstand erregen Typen wie dieser aufgeblasene Prinz, der sich vor ihr als Bärentöter und Retter aufspielt. Falk Döhler legt dafür gekonnt eine Prinzenrolle in Zeitlupe hin. Wie er überhaupt dieses ganze königliche Personal in diversen Rollen wunderbar karikiert.
Alle drei Darstellenden spielen ungezählte Rollen, Leerlauf hinter der Bühne gibt es nicht. Mischa Löwenberg etwa gibt auch die böse Fee Malefiz, ausgerechnet die zur Geburt des heiss ersehnten Königskinds nicht eingeladen wurde. Als böse Fee kriegt man es aber trotzdem mit. Auf jeden Fall kommt sie doch noch vorbei, um Dornröschen mit dem bekannten Fluch zu belegen. Die Beiläufigkeit des Bösen, könnte man das nennen, wie der Schauspieler das macht. Aber wir sind ja im Kinderstück der Hagenwiler Schlossfestspiele.
Zugaben für die Grossen
Um sie zu beschwichtigen, wollen ihr die Eltern übrigens einen Gutschein für das nächste Fest im Schloss andrehen. Florian Rexer hangelt sich wieder mal mit verblüffendem Sinn für Heutiges am märchenhaften Phantasiegerüst hoch. Hier speziell als Zugabe für das grosse Publikum, die sich auch als Seitenhieb auf miese Tricks, die sich in unseren Alltag eingeschlichen haben, verstehen lässt. Und auf lächerliche Typen. Diese Prinzen zum Beispiel, die Dornröschen dem einhundertjährigen Schlaf entreissen wollen. Entweder anmassende Grosssprecher oder zwanghafte Erbsenzähler.
Dabei hat Dornröschen bereits vor ihrem tiefen Schlaf ihre Wahl getroffen. Nicht der angeberische Prinzengeck beeindruckt sie tief, sondern dessen kleiner Bruder Sebastian, oder einfach „Basti“. Auch das eine famose Rolle für Mischa Löwenberg, der das Spiel mit den kleinen Theaterbesucherinnen und -besuchern aufs liebevollste beherrscht.
Zeigt her eure Finger
Als es darum geht, dass der König alles Spitze in seinem Reich verbieten lässt, damit sich die Weissagung der Malefiz nicht bewahrheiten kann, fordert er die Kleinen im Publikum auf, ihre Finger vorzustrecken. Für den Fall, dass ein Fingernagel zu spitz geschnitten ist. Auf so etwas muss man erst mal kommen. Das Spiel zwischen Bühne und Publikum funktioniert aber auch anders herum. Die Kids tragen in Form von Zwischenrufen bereitwillig ihren Beitrag zum Gesamtkunstwerk bei.
Die Bühne ist ganz traditionell märchenhaft gestaltet mit den gezeichneten Kulissen vom Königspaar samt Thron und den kleinen raffiniert ausgedachten Requisiten, die viel bewirken. Barbara Bernhardt und Tatjana Mahr haben sich für die Kostüme und die vielen lustigen Masken genauso ins Zeug gelegt wie das gesamte spielfreudige Ensemble.
Basti übrigens hat die hundert Jahre auch im wachen Zustand erstaunlich rüstig überlebt. Er ist jung geblieben. Pünktlich zum Stichtag erscheint er neben dem schlafenden Dornröschen und küsst es wach. Ist halt Märchen, sonst hiesse es ja, „Hilfe, ich habe meinen Urur-Enkel geheiratet“. Das geht natürlich nicht, wenn auch vieles geht in diesem aufs Phantasievollste ins Heute transportierte Kindertheaterstück.
Vorstellungen bis 3. September. Tickets sind hier zu reservieren.
Von Maria Schorpp
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