von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 07.08.2024
Die Übermorgen-Stadt
Mit einem neuen Kulturkonzept will sich Kreuzlingen noch stärker als Kulturstadt profilieren. Die Ideen sind gut, die Frage ist nur: Wer soll das eigentlich umsetzen? (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Konzepte sind immer dann gefragt, wenn man nicht weiter weiss. Sie können dabei helfen, Ideen zu strukturieren und ein klares Ziel zu definieren. Letztlich ist ein Konzept vor allem ein ausgearbeiteter Gedanke, der sich in viele Untergedanken ausdifferenzieren kann, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Städte, Gemeinde und Kantone sind geübt darin, solche Konzepte zu schreiben. Sie signalisieren nicht nur Tatendrang und Zukunftsdenken, sie können tatsächlich auch Leitplanken für künftige Initiativen bilden. Manchmal ist’s aber auch nur die Angst vor dem tatsächlichen Handeln, die weitere Konzepte produziert. Dann hat man es mal aufgeschrieben und muss erstmal nichts mehr damit machen. Wie viele kluge Konzepte in der Menschheitsgeschichte wohl in Schubladen verschwunden sind?
Auch die Thurgauer Grenzstadt Kreuzlingen ist geübt in der Konzepteprosa. So hat die Stadt bereits im März dieses Jahres ein neues Kulturkonzept vorgelegt. Die Botschaft darin: Kultur soll weiterhin dazu beitragen, die Stadt nach aussen zu profilieren und nach innen „ein selbstbewusstes Wir-Gefühl in der Stadt“ erzeugen. Das vom städtischen Departement für Gesellschaft sowie der Kulturkommission der Stadt verfasste Konzept bekennt sich darin klar zu einer breiten, „alle Sparten übergreifenden Kulturförderung“. Systematisch listet das Papier die verschiedenen Ebenen der städtischen Kulturförderung und ihre jeweilige Bedeutung.
Zwei wesentliche Pfeiler wackeln
In diesem Abschnitt zeigt sich auch - zwei wesentliche Pfeiler des Kreuzlinger Kulturlebens stehen vor einer unsicheren Zukunft: Die Museen (Seemuseum, Museum Rosenegg, Bodensee Planetarium) und das Kulturzentrum Kult-X. Seit Monaten warten die Museen darauf, dass das Museumskonzept 2024-2028 endlich vors Volk kommt, damit sie verlässlicher die Zukunft planen können.
Während die Museen dabei vor allem auf ein grösseres Budget hoffen, um ihre zahlreichen Aufgaben noch besser wahrnehmen zu können, stellt sich beim Kult-X die ganz grundsätzliche Existenzfrage. Am 22. September wird es eine Volksabstimmung zu Sanierung und Erweiterung des Hauses auf dem ehemaligen Schiesser-Areal geben. Ausgang offen.
Dabei ist gerade das Kult-X zentral für alle weiteren Bemühungen der Stadt: „Der Ausbau und die Weiterentwicklung des Kulturzentrums stellt für die Quartiers- und Zentrumsentwicklung der Stadt einen entscheidenden Erfolgsfaktor dar“, heisst es in dem Kulturkonzept dazu. Und: „Der Ausbau der Infrastruktur und des Betriebs muss professionellen Standards entsprechen.“ Das ist ein Bekenntnis, das man in dieser Klarheit von Seiten der Stadt lange nicht gehört hat. Nach der Abstimmung am 22. September wird man wissen, was es wert war.
Der schwierige Umgang mit der Nachbarstadt
So klar das Kulturkonzept an dieser Stelle ist, so schwammig bleibt es in anderen Aspekten. So wird mehrfach die „Einzigartigkeit“ der Kreuzlinger Kulturlandschaft benannt, ohne näher auszuführen, worin sich diese Einzigartigkeit begründet. Auch das Verhältnis zur Nachbarstadt Konstanz bleibt indifferent.
Einerseits wünschen sich die Autor:innen des Kulturkonzeptes mehr gemeinsame, grenzüberschreitende Projekte, andererseits fordern sie aber auch, „dass sich Kreuzlingen von der Nachbarstadt im Profil deutlich abgrenzt und die lokale Kulturszene entsprechend gewahrt bleibt“. Wie hier Protektionismus und Weltoffenheit Hand in Hand gehen sollen, beantwortet das Kulturkonzept nicht.
Spannender ist das Papier auf seinen letzten Seiten. Dort entwerfen die Autor:innen Zukunftsszenarien für die Kreuzlinger Kultur. Sie sehen unter anderem eine Stärkung der Kulturvermittlung „als Verbindung zwischen Kulturschaffenden und der Bevölkerung“ vor. Ebenso im Gespräch: Die Initialisierung eines spartenübergreifenden Jugendförderpreises, die Einführung personenbezogener Forderbeiträge für Künstler:innen, sowie mehr „Beteiligungsverfahren für identitätsstiftende Kulturformate“. Letzteres bedeutet vor allem die Menschen vor Ort stärker einzubinden in der Frage, welche Kulturformate durchgeführt werden sollen. Ein guter, demokratische Gedanken für den allerdings bis jetzt noch niemand eine wirklich überzeugende Umsetzungsidee im Kulturbereich gefunden hat.
Mehr Daten über Kultur können Debatte versachlichen
Ein wirklicher Quantensprung im Diskurs über die Bedeutung von Kultur für die Gesellschaft könnte aber gelingen, wenn die Stadt es schafft ein verständliches Monitoring für Kultureffekte einzuführen: „Durch die Messung von kulturellen Aktivitäten können die Erfolge auch sichtbar in Zahlen belegt werden“, heisst es im Kulturkonzept.
Tatsächlich könnte durch solche Daten die Debatte über Kultur sachlicher werden. Im Idealfall lässt sich so nachvollziehbar belegen, dass eine lebendige Kultur sich positiv auf das Profil der Stadt aus wirkt und zudem die Standortfaktoren von Kreuzlingen nachhaltig stärkt. Genau deshalb schlagen die Kulturkonzept-Autor:innen eine „zielgerichtete Datenerhebung in Kooperation mit einer Bildungseinrichtung“ vor.
Das Ziel: eine Fachstelle für Kultur
Erst am Ende des Kulturkonzeptes kommt unter Punkt 6 so etwas wie ein Realitätcheck für all die zuvor formulierten Ideen. Unter dem Punkt „Organisatorische und finanzielle Konsequenzen“ heisst es: „Für die Umsetzung der gesetzten Ziele und Massnahmen sind personelle Ressourcen notwendig. Das Einsetzen einer Fachstelle Kultur ist zur Umsetzung der Ziele, die Beratung der Kulturschaffenden und der Netzwerkpflege zwingend.“ Mit dieser Fachstelle soll das Kulturmanagement in der Stadtverwaltung schrittweise ausgebaut werden.
Wie genau der Zuschnitt dieser Stelle aussehen könnte, lässt das Kulturkonzept offen. Auch die Frage nach Kompetenzen und Entscheidungshoheiten fassen die Autor:innen noch nicht an. Klar dürfte aber auch sein - ein weiteres rein beratendes und nicht beschliessendes Gremium dürfte der Kreuzlinger Kultur eher nicht helfen. Angesichts der im Kulturkonzept formulierten Ziele und Herausforderungen sollte es nicht mangeln an Aufgaben für eine solche Fachstelle für Kultur. Aber gibt es auch das notwendige Geld dafür?
Leicht wird es nicht für die Kulturlobby im Verteilungskampf um städtische Gelder. Aber in dem neuen Kulturkonzept ist zumindest die positive Vision einer lebenswerten Übermorgenstadt entworfen, mit der die Verantwortlichen selbstbewusst in den Ring steigen können.
Podiumsdiskussion zum Thema
Unter dem Titel „Kultur im Zentrum“ findet das Kreuzlinger Kulturforum am 22. August, von 16 bis 19 Uhr, im Kult-X statt. Es gibt eine Podiumsdiskussion mit Gabriel Macedo (Stadtpräsident Amriswil), Reto Bisehher (Leiter Kulturforum Amriswil), Daniel Moos (Stadtrat Kreuzlingen) und Michael Kubli (Vorstand Verein Kult-X). Rhea Braunwalder (Migros Kulturprozent) moderiert. Nach der Diskussion gibt es drei verschiedene Workshops zu den Themen „Synergien im Kulturbetrieb“, „Teilhabe und Identifikationsort“ und „Standortvorteil Kulturzentrum Kreuzlingen“. Wer dabei sein will: Anmeldungen sind bis 15. August per E-Mail an claudia.thom@kreuzlingen.ch möglich.
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