von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 02.11.2023
Auf vielen Wellen
Das Seemuseum Kreuzlingen zeigt eine Wanderausstellung der ETH Zürich über Wellen. Dort kann man nicht nur viel lernen, sondern auch viel selbst ausprobieren. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Wer an Wellen denkt, der hat vermutlich erstmal den Wellengang des Meeres im Kopf. Dabei gibt es nicht nur im Wasser im Wellen. Sie sind auch in der Luft, in der Erde, in Technik und auch in gesellschaftlichen Strömungen zu finden. Genau dieser Vielfalt an Wellen will eine neue Wanderausstellung im Kreuzlinger Seemuseum nachgehen. Sie heisst „Wellen. Tauch ein!“ und stammt aus der Wissenschaftsschmiede von focus Terra an der ETZ Zürich. Dort bemüht man sich seit Jahren darum, wissenschaftliche Erkenntnisse in Form von Ausstellungen zu vermitteln.
Jetzt steht also das Phänomen „Welle“ im Zentrum. Den Ausstellungsmacher:innen geht es dabei auch darum, ein Grundverständnis des Prinzips hinter der Welle zu vermitteln und die Vielfalt an verschiedenen Wellentypen aufzuzeigen. Ganz grundsätzlich gilt demnach folgendes: „Wellen entstehen, wenn etwas kurzzeitig so verformt wird, dass es schwingt“, heisst es im Katalog zur Ausstellung. Energie wird dabei von einem Ort zum anderen transportiert.
Theorie trifft Zukunftsvision
Und wer nun denkt, oha, das klingt mir jetzt schon zu physikalisch, ich mag Wellen einfach anschauen, dem sei zu etwas Geduld geraten. Denn - der Ausstellung gelingt es verblüffend gut, wissenschaftlich akkurat und trotzdem verständlich zu sein (für die Vertiefung und zum Nachlesen ist der Katalog empfehlenswert, den gibt es direkt im Seemuseum oder kann per Mail bestellt werden: info_focusterra@erdw.ethz.ch).
Schallwellen, Erdbebenwellen, Radiowellen, Lichtwellen, Röntgenstrahlung - zu diesen und weitere Wellentypen gibt es eigene Ausstellungstafeln, in denen die Phänomene erläutert werden. Um nicht allzu theoretisch zu bleiben, reichert die Ausstellung die Informationen auch jeweils mit einer konkreten Zukunftsvision und einem aktuellen Forschungsprojekt in dem Feld an.
Dabei gibt es auch einen Exkurs in Richtung Tier und Natur. Hier dreht es sich um Fragen wie: Welche Wahrnehmungsfähigkeiten haben Bienen, Elefanten und Wale uns voraus? Und wie versuchen wir Menschen diese Fähigkeiten über Technik uns zu erschliessen?
Video: Einblicke in die Ausstellung (zeigt den Aufbau in der ETH Zürich)
Was die Ausstellung spannend macht
Schliesslich wollen wir immer mehr wissen, als wir gerade wissen. Genau deshalb wurden beispielsweise Empfänger wie Satelliten und Seismometer sowie spezielle Kameras und Mikrofone entwickelt. „Damit messen wir Erschütterungen bei Vulkanen, zeichnen Infraschalllaute kommunizierender Wale auf oder sehen die Wärme entzündeter Gelenke bei einem Elefanten. Dies ermöglicht uns, verborgene Welten zu entdecken und so ein tieferes Verständnis für Naturprozesse und die Tier- und Pflanzenwelt zu entwickeln“, erklärt die Ausstellung dazu.
Spannend ist die Schau vor allem dann, wenn es ihr gelingt das abstrakte Thema mit einem konkreten Kontext zu verbinden. Zum Beispiel die Geschichte von Daniel Kish. Er ist seit seinem zweiten Lebensjahr blind, aber er hat gelernt sich, ähnlich wie eine Fledermaus, durch Klicklaute im Raum zu orientieren.
Mit seiner Zunge macht er Klicklaute, die viele Meter weiter reichen als sein Blindenstock. Durch wiederholte Klicks entsteht in seinem Kopf ein detailliertes Bild, das ihm sogar ermöglicht, Fahrrad zu fahren. Kish trainiert auch andere Menschen mit Sehbehinderung und eröffnet ihnen damit neue Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten.
Es gibt viel auszuprobieren
Besucher:innen können aber nicht nur viel lesen in der Ausstellung, es gibt auch mehrere Mitmachstationen, in denen man sich selbst ausprobieren kann. Das macht die Schau auch für Kinder und Jugendliche interessant.
Sie können zum Beispiel physikalische Phänomene selbst testen oder auch in einem Computerspiel zu Fake News (hier testen) erfahren, welches Prinzip hinter der rasenden Verbreitung von Falschnachrichten steht. Denn auch die fluten ja wie Tsunamiwellen Teile des Internets. Das Spiel «Bad news» der niederländische Organisation DROG hat 2020 den Pädagogischen Medienpreis 2020 der Initiative Studio im Netz (SIN) erhalten.
Was die Ausstellung ebenfalls gut macht - die digitale Vermittlung. Die Inhalte der Schau sind auf einer eigenen Website gebündelt und grafisch ansprechend gestaltet. Für Schulen gibt es ausgearbeitete Unterrichtsmaterialien, die Möglichkeit zu Führungen und Workshops und das Angebot Wissenschaftler:innen für einen Austausch zu buchen, um über konkrete Themen zu reden.
Spannendes Rahmenprogramm zur Ausstellung
Das Seemuseum wäre nicht das Seemuseum, wenn es nicht noch einen eigenen, lokalen Zugang zum Ausstellungsthema aufmachen würde. In einem ausgefeilten Rahmenprogramm bietet das Team um Museumsleiter Christian Hunziker weitere Einstiegsmöglichkeiten ins Wellenthema.
Neben Vorträgen und speziellen Familienführungen gibt es auch zwei neue Vermittlungs- und Begegnungsformate: Zum Valentinstag 2024 öffnet das Seemuseum unter dem Titel „Auf einer Wellenlänge“ nicht nur die Ausstellung, sondern auch die Bar. „Ob alleine oder zu zweit, Hauptsache es treffen sich Menschen auf einer Wellenlänge“, schreibt das Museum dazu.
Noch in diesem Jahr startet eine Kooperation mit dem Filmforum Kreuzlingen-Konstanz. An drei Abenden (5. November, 22. Februar, 21. März) werden im Kult-X Filme gezeigt, die zum Thema passen. Start ist am 5. November um 16 Uhr mit einem Dokumentarfilm über Wale (Les Gardiennes de la planaté) im Kult-X. Und auch spannend: Am 18. Januar zeigt der Kultur- und Medienwissenschaftler Johannes Binotto seinen Filmessay „Im Kino schwimmen. Über Wellen im Film“.
Video: Trailer zu «Les Gardiennes de la planaté»
Was das Seemuseum besser macht als andere regionale Museen
Damit öffnet sich das Seemuseum weiter in Richtung Kunst und Kultur. Und beweist damit einmal mehr, dass sich das Haus eine Pionierstellung unter den regionalen Museen im Thurgau erarbeitet hat. Kein anderes Museum erzählt seine Themen so konsequent interdisziplinär und multiperspektivisch wie es das Seemuseum tut. Sehr erlebenswert!
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