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von Inka Grabowsky, 04.10.2021

Farbbad in der Kartause

Farbbad in der Kartause
Leuchtende Farben im Kellergewölbe lenken die Blicke. | © Inka Grabowsky

Nachdenken über Kunst: Harald F. Müller hat gerade seine neue Ausstellung «Mondia» im Kunstmuseum Thurgau eröffnet. Sie ist noch bis Juni 2022 dort zu sehen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

«In diesen Räumen würde sicher nicht jeder ausstellen», sagt Harald F. Müller. «Die Architektur ist wahnsinnig imposant, aber ich bekam die Möglichkeit, die Wände farbig zu gestalten. Das blendet den Raum aus. Die Farbigkeit lenkt die Blicke der Betrachter auf die Werke, weg vom Raum.»

Nun also sind die Kunstwerke nicht einfach im Respekt heischenden Kellergewölbe der Kartause Ittingen ausgestellt, sondern prangen erhaben auf grünen, gelben, rosa schillernden oder roten Flächen. Man vergisst die Historie des Orts und badet stattdessen in Farbe. «Die Ausstellung ist als optisches Reizfeld konzipiert», sagt Museumsdirektor Markus Landert, der seit fast dreissig Jahren gut mit Müller bekannt ist.

Harald F. Müller spielt mit Spiegelungen. Bild: Inka Grabowsky

Auftragsarbeit für das Kunstmuseum

Als Höhepunkt der Ausstellung und dementsprechend ein wenig wie ein Altarbild inszeniert gilt für Markus Landert und Harald F. Müller das Werk «musique non stop», eine Fotografie von fast zwei Metern Länge und 160 Zentimetern Höhe. Ein Plattencover der deutschen Band Kraftwerk mit dem gleichen Titel aus dem Jahr 1986 bildet den Hintergrund.

Müller arrangiert darauf zwei Glühlampen, in denen sich die Decke der Klosterkirche der Kartause spiegelt. Aufgenommen und vergrössert hat das Bild der Fotograf Guido Kasper. «Die Wireframe-Gesichter stehen für die Digitalisierung», erläutert Landert, «die Glühbirnen für die Elektrifizierung, und die barocke Architektur, die sich im Glas spiegelt, erinnert an die Erkenntnisse des Mathematikers Euler über Kegelschnitte. Sie ermöglichten im 18. Jahrhundert die Berechnung der Bögen in der Architektur.» Alles in Allem erzählt das Bild also ein Fortschrittsgeschichte.

Harald F. Müller jedoch sagt: «Es ist auch ein Portrait des Kunstmuseums Thurgau, das das Alte und Traditionelle mit der modernen Sammlung in seinen Räumen vereint. Es ist eine Hommage an das, was hier passiert.» Das Kunstmuseum hatte das Werk in Auftrag gegeben und vergangenes Jahr für rund 30.000 Franken erworben.

Museumsdirektor Markus Landert ist begeistert vom Auftragswerk „musique non stop". Bild: Inka Grabowsky

Kunst im öffentlichen Raum

Harald F. Müller ist durch seine Zusammenarbeit mit Architekten und durch Interventionen im öffentlichen Raum im Alltag vieler Menschen präsent. In Kreuzlingen zum Beispiel wird gerade die gelbe Betonbarriere an der Egelseestrasse restauriert, die er 1993 errichten liess.

Im oberen Raum des Kellergewölbes sieht man fünf von inzwischen vierzig Arbeiten, die als Kunst am Bau fungieren. Sie wurden jeweils von Guido Kasper dokumentiert und fotografisch interpretiert. «Harald steigert die Wirkung der Architektur und wertet sie um», so der Fotograf.

Im unteren Gästehaus der Kartause Ittingen ist Müller für die durchgängige rote Wand verantwortlich, die das Treppenhaus je nach Lichteinfall zu einem neuen Erlebnis macht. Und im Primetower in Zürich brachte er die 18 ikonografischen Fotos an den Wänden an, die auf besondere Momente der Menschheitsgeschichte hinweisen.

Eine Ausstellung als kunsttheoretischer Exkurs

«Harald F. Müller macht keine Bilder im konventionellen Sinn», erklärt Markus Landert, «aber er schafft Bilder, die uns über Kunst nachdenken lassen. Wann ist ein Bild sinnhaft?» Der Ausstellungstitel «Mondia», angebracht in riesigen blauen Buchstaben in Spiegelschrift, wird etwa auf der gegenüberliegenden Seite des Raums in einem Spiegel lesbar. «Es ist der Rahmen, der aus der Spiegelung ein Bild macht», so der Museumsdirektor.

Daneben hängen zwei sogenannte «Ciba noirs» aus grossformatigem unbelichtetem Fotopapier, das das Potential für unzählige Bilder symbolisiert. «Die Ausstellung ist wie ein Roadmovie von einer Reise durch die Möglichkeiten der zeitgenössischen Kunst», meint Landert.

Ein reales Roadmovie läuft auf drei Bildschirmen: Vor einem Vierteljahrhundert sei er mit einem Kameramann im Auto losgefahren und habe auf dem Weg nach Italien anonyme Architektur aufgenommen, erzählt Müller. Siebzig Filmschnipsel sind jetzt in einer Schleife zusammengeschnitten und werden zu Radiomusik aus den achtziger Jahren zum audiovisuellen Ereignis. «Ich selbst schaue es mir auf dem Crosstrainer an», witzelt der Künstler.

Inspirationsquelle für den Ausstellungstitel im Kunstmuseum: Harald F. Müller, "MONDIA", 1978 Cibachrome auf Aluminium aufgezogen 118 x 168 cm

Wider die Bilderflut

Harald F. Müller hat eine spezielle Herangehensweise an Bilder, die ihn einzigartig macht. Er betrachtet unzählige davon – in Archiven oder Zeitschriften. Dann sucht er nach einem Jahr eines aus, das in höchster Konzentration eine Geschichte erzählt. Markus Landert ist überzeugt: «Die Auswahl ist der kreative Akt des Künstlers heute.»

Der Titel der Ausstellung kam so zustande. Müller fand ein Foto eines Lastwagens, auf dem der Markenname Mondia stand, ein Kunstwort, das man «irgendwie mit dem Begriff Welt» assoziiert. Es inspirierte ihn zur aktuellen Zusammenstellung seiner Werke.

Im zweiten Raum des Kunstkellers findet sich deshalb eine Fotografie in extremer Vergrösserung, die ideal dazu passt: der Wiener Prater mit Riesenrad, Globus und Planetarium. «Hier hängen nur zwei von meinen 21 gefundenen Bildern», so Müller.

Harald F. Müller, "Prater", 1986, Cibachrome auf Aluminium aufgezogen, 188 x 240 x 16 cm

Die Ausstellung ist auch ein grenzüberschreitendes Projekt

Die im Kunstmuseum Thurgau gezeigten Werke sind nur ein winziger Ausschnitt aus dem grossen Werk des Künstlers. Es gibt zeitgleich einen zweiten Teil in Singen in Müllers Atelier. Beide Ausstellungen nehmen Bezug aufeinander. «Das Grenzüberschreitende ist mir sehr wichtig», sagt der Künstler. «Ich bin in beiden Ländern verortet.»

Vollkommen überregional wird die Doppelschau durch die eigene Website. «Wir machen keinen Katalog, sondern - viel zeitgemässer - einen Auftritt im Internet. Er wird nach und nach erweitert. Kunst ist ja auch nie abgeschlossen.»

 

Begleitprogramm zur Ausstellung

Harald F. Müller: «Mondia» im Kunstmuseum Thurgau und im stratozero Singen.

 

Die Öffnungszeiten: Montag bis Freitag: 14 – 17 Uhr sowie Samstag, Sonntag, Feiertag: 11 – 17 Uhr; Eintritt: 10 Franken

 

9. 11. 2021, 19 Uhr: Verführen zum Schauen und Denken.
Künstlergespräch mit Harald F. Müller in der Ausstellung "Mondia"

 

23. 11. 2021, 19 Uhr:  Bilderbögen. Vom Umgang mit der Bilderflut:
Eine Veranstaltung über Strategien im Umgang mit Bildern mit Miriam Waldvogel, Harald F. Müller und Markus Landert

 

Noch nicht terminiert sind ein Vortrag von Guido Kaspar zur Falschheit von fotografischen Perspektiven unter dem Titel «Wie Bilder von Räumen täuschen», eine Exkursion ins stratozero und eine Lesung von Zsuzsanna Gahse aus ihrem neuen Buch "Bergisch teil farblos" https://korrespondenzen.at/bergisch-teils-farblos/

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