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von Sascha Erni, 15.06.2017

Sprachkunst vom Bodensee

Sprachkunst vom Bodensee
Signathur-Mitgründer und -Verleger Bruno Oetterli | © PD

Der Nischenverlag Signathur aus Dozwil fällt durch seine Vielseitigkeit auf. Er konzentriert sich nicht auf ein spezielles Thema, die Nische liegt in der Sprache an und für sich.

Von Sascha Erni

Bruno Oetterli ist gut gelaunt, als wir mit ihm sprechen. Der ehemalige Sekundarlehrer, Jahrgang 1943, führt seit 20 Jahren den Thurgauer Nischenverlag «Signathur». Eben erschienen ist das Werk «Die Gefühle befinden sich im Gehirn», eine Kombination aus Audio-CD und Buch, mit Texten von Schizophrenen (Rezension dazu finden Sie hier). Eine ungewöhnliche Publikation, die in dieser Form wohl nur bei Signathur herauskommen konnte. Im Gespräch zeigt sich schnell: Rendite ist für Oetterli zweitrangig. Ihm geht es um die Sprache als solche. So kam es dann auch zur Zusammenarbeit mit dem Herausgeber der «Gefühle...», Mario Gmür. Ein bekannter Psychiater, noch dazu aus Zürich, bei einem Thurgauer Kleinverlag? Wie kam das denn?

Als Sammlernatur im Thurgau

Die «Gefühle...» seien über viele, viele Jahre entstanden, erklärt uns Gmür. Er hatte zu Schizophrenie habilitiert, zeigte sich aber schon früh irritiert, wie biologistisch die moderne Psychiatrie gehandhabt wird. Die geisteswissenschaftliche Komponente käme zu kurz, aber besonders die Sprache sei wichtig um eine psychische Erkrankung auch tatsächlich zu verstehen. Also hat Gmür über Jahrzehnte Texte, Briefe und Emails von Betroffenen zusammengetragen. «Ich bin eine kleine Sammlernatur», sagt er im Gespräch mit Thurgaukultur. Er legte ein Dossier nach dem anderen an.

Der Zürcher Psychiater Mario Gmür veröffentlicht nicht nur Fachartikel

Der Zürcher Psychiater Mario Gmür veröffentlicht nicht nur Fachartikel. Bild: PD

Dann hatte er die Idee, einen Schauspielerfreund Texte aus seiner Sammlung rezitieren zu lassen. «Die Aufnahme war sehr faszinierend, besser als Vieles am Schauspielhaus», erzählt Gmür. «Absurd, ja, aber so auch näher an der Realität.» Also ging er 2002 mit kleinem Ensemble auf Tour, die szenische Inszenierung wurde seither über 50mal aufgeführt. An einer Aufführung in Steckborn lernte Gmür dann Bruno Oetterli kennen. Ein Draht war schnell gefunden: Oetterlis Vater war Psychiatriepfleger, sein ältester Sohn lebt selbst mit Schizophrenie. Jetzt sind aus dieser Verbindung die «Gefühle...» enstanden.

Sprache als Nische

Zu diesem Zeitpunkt war Oetterli bereits lange publizistisch tätig. 1996 war er Gründungsmitglied der literarischen Vereinigung Signathur Schweiz, Gruppe Thurgau, Bodensee & Rhein. Daraus erwuchs dann die «Edition Signathur». Auch heute noch sind das Publikationsorgan des Vereins, «Harass – Sammelkiste der Gegenwartsliteratur aus dem Sängerland», und die Edition unabhängig von einander. Auch aus Sicherheitsgründen, wie Oetterli erklärt. «Jede Neuerscheinung ist auch immer ein finanzielles Risiko. Das sollen die Mitglieder der Vereinigung nicht tragen müssen.»

Ein klassisches Verlagsprogramm existiert bei der Edition Signathur nicht, als übergreifendes Prinzip könnte man den Begriff «Sprachkunst» setzen. In diesem Umfeld hat Signathur bisher über 100 Titel veröffentlicht: Gedichtbände, Sonette, experimentelle Literatur – immer steht die Sprache im Mittelpunkt. International bekannt wurde der Nischenverlag mit seinen Titeln zur älteren englischen Literatur. Hier sieht Oetterli die Kleinheit von Signathur im Vorteil: «Kleinauflagen, wie sie in diesem Bereich herausgegeben werden müssen, sind für grössere Verlage nicht kostendeckend zu managen». Gerade erst im März erschienen ist «... lesen, wie krass schön du bist konkret», eine Sammlung von 223 verschiedenen deutschsprachigen Übersetzungen von Shakespeares Sonett Nummer 18.

«Eintagsfliegen gibt es mehr als genug»

Auch Gmür hatte schon viele Jahre belletristische Erfahrung, bevor er auf Signathur stiess. Als er mit Oetterli ins Gespräch kam, war gerade sein damaliger Zürcher Verlag Konkurs gegangen. Eine Situation, die häufig vorkomme, so Oetterli. «Man kann ja permanent miterleben, wie Verlage zugrunde gehen». Die betroffenen Autorinnen und Autoren würden dann Ersatzverlage suchen – aber das sei je nach Themenfeld nicht immer leicht. Nicht jeder Autor könne mit einem gewinnversprechenden Titel aufwarten. «Das heisst aber nicht, dass die Texte schlecht sind!», betont Oetterli. Und hier setzte er in den 90ern an. Mit dem Harass und der Edition wollte er Plattformen für Literatur abseits der Marktfähigkeit anbieten. Plattformen, die Bestand haben sollten. Er sieht diese Beständigkeit als Verpflichtung – Eintagsfliegen gäbe es mehr als genug im Buchmarkt. Vor kurzem konnte Oetterli mit Signathur das 20jährige Jubiläum feiern.

Gmür stellte zuerst für den Harass Texte zur Verfügung, es folgte 2010 die Veröffentlichung seines Buches «Tanz der Konsonanten: Der Dreh zum Schüttelreim». Mit den «Gefühlen...» soll noch nicht Schluss sein, zur Zeit arbeitet er am Konzept für ein neues Buch. «Aber mehr darf ich noch nicht verraten, es ist noch nicht in trockenen Tüchern», lacht Gmür. Aber man merkt: Er hat bei Signathur eine Heimat gefunden. Und auch Oetterli denkt nicht ans Aufhören. «Es ist alles eine Frage der Arbeitskraft», wie er sagt. «Ich bin noch gut beisammen.»

Weiterlesen

Eine Rezension des Buches können Sie hier lesen: www.thurgaukultur.ch/magazin/3236 

In loser Reihenfolge porträtiert Sascha Erni für thurgaukultur.ch Kleinverlage aus der Ostschweiz. Bislang in dieser Reihe erschienen sind:

Vexer: Von der Kunst, Bücher zu gestalten: Seit 1985 betreibt Josef Felix Müller den Vexer-Verlag – und sieht ihn auch als Kunstprojekt. Thurgaukultur besuchte ihn anfangs Jahr in St. Gallen. Zum Text 

Libelle Verlag: Zickzackflug und ein langsamer Abschied. Seit 39 Jahren führt das Ehepaar Ekkehard Faude und Elisabeth Tschiemer den Libelle-Verlag zwischen Lengwil und Konstanz. Nun ziehen sie sich aus dem Geschäft zurück. Zum Text

«Ein klares Profil ist entscheidend»: Am 13. Dezember erschien die 18. Publikation bei Triest, dem jungen Ostschweizer Fachverlag für Design, Typographie und Architektur. Thurgaukultur war in St. Gallen zu Besuch. Zum Text

Die Reihe wird fortgesetzt. 

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