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von Judith Schuck, 16.12.2024

Tanz für das Publikum von morgen

Tanz für das Publikum von morgen
Menschenskulptur. Szene aus dem Projekt together am Phönix Theater Steckborn | © Judith Schuck

Wie verhalten sich Menschen in Gruppen oder als Individuum? Tanzprofis und Laien beantworteten diese Frage im Phönix Theater gemeinsam mit den Mitteln der Tanzkunst. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Stellenweise ist gar nicht klar, wer Profi und wer Laie ist – nahtlos gehen die Bewegungen ineinander über, die Tänzer:innen befinden sich im ständigen Fluss. Erst im Verlauf des Stücks, als Soli und komplexe Figuren hinzukommen, ahnt das Publikum, wer zur Compagnie gehört und wer zu Teilnehmenden aus der Steckborner Umgebung, die sich auf ein intensives Experiment eingelassen haben.

Am 6. und 7. Dezember tanzten sieben Menschen mit und ohne Tanzerfahrung aus Steckborn und Umkreis mit den Profitänzer:innen der Company Idem zusammen auf der Bühne des Phönix Theaters. In der Produktion together bringen sie den Zuschauer:innen gemeinsam die Vielfalt menschlicher Begegnungsformen und Gruppenverhalten tänzerisch nahe.

Mitgerissen vom Menschenstrom

Zu Beginn laufen alle in unterschiedlichen Tempi um den grossen hellen Spot des Scheinwerfers, der einzig sichtbare Punkt auf der sonst dunklen Bühne. Beschleunigung, Verlangsamung, Aneinandervorbeirennen, Annäherungen, Abwenden – es entsteht der Eindruck von Menschen in einer Grossstadt, die durch den Strom der Strassen gespült werden, mitgeschoben in der Masse. Einzelne stechen hervor, weil sie sich der Bewegung der anderen nicht anpassen, langsamer oder schneller laufen, die Richtung wechseln.

Durch ineinander verflochtene Arme und Beine entstehen Menschenzäune, durch die sich einige Wenige durchkämpfen, um ihre Message rauszutragen. Die Musik, mechanische, hohle Klänge im stetigen Rhythmus, die an den Sound eines Maschinenraums erinnern, treiben die Tänzer:innen immer weiter an. Eine Pyramide entsteht, an deren Spitze eine Person emporgehoben wird. Jubel und Applaus der Masse am Boden untermalen die Erhöhung, die Verehrung einer Person. Aus dem Boden geschossene, kurze Berühmtheit. Militärische Elemente wie Marschieren und Kämpfe sind ebenso in die Choreographie eingebaut wie die Schlacht und das gegenseitige Abmetzeln, bis alle reglos am Boden liegen.

Video: arttv.ch über das Projekt „together“ 

Klassische und zeitgenössische Stile vermischen sich

Zu menschlichen Begegnungen gehören neben den isolierten, kämpferischen aber auch die einfühlsamen, aufmerksamen, wertschätzenden, die mit viel Eleganz und Hingabe getanz werden. Die körperliche Anstrengung ist vor allem aus der ersten Reihe durch und durch spürbar. Was die Tänzer:innen hier leisten ist eindrucksvoll.

„together“ ist ein Projekt der Company Idem. Clément Bugnon und Matthias Kass gründeten die Tanzcompagnie 2011. Seit 2022 und bis 2025 residiert sie im Théâtre Benno Besson in Yverdon-les-Bains, in der Nähe von Biel. Clément Bugnon und Matthias Kass lernten sich an der Ballettakademie John-Cranko-Schule in Stuttgart, wo sie zunächst klassisches Ballett tanzten.

Sie hätten dann „alles Mögliche“ getanzt, verschiedene Stile und zeitgenössischen Tanz – mit viel Erfolg. 2012 nahm Matthias Kass an den Olympischen Spielen teil. „Wir haben uns selbständig gemacht und mit unserem Rucksack an Erfahrungen ein eigenes Training aufgebaut“, sagt Matthias Kass.

 

together in Steckborn. Bild: Judith Schuck

Teilnehmende statt Laien

Dieses Training wenden sie auch für „together“ an, hinter dem die Idee steht, Menschen, die bisher Berührungängste mit dem Tanz hatten, die gerne mal an einen Stück mitwirken würden oder sich vielleicht noch nie so richtig mit Tanz auseinandergesetzt haben, auf die Bühne zu holen. Die Choreographie ist vorgegeben, wird aber an die örtlichen Gegebenheiten oder die individuellen Fähigkeiten der Beteiligten angepasst. In Steckborn wurde das Projekt zum zweiten Mal durchgeführt.

Premiere feierte es im Oktober in Yverdon-les-Bains, wo 19 Laien teilnahmen, wobei Matthias Kass nicht gerne das Wort Laien benutzt, sondern lieber von Teilnehmenden spricht. Jede Gruppe bringe unterschiedliche Vorteile und Möglichkeiten mit, sagt er. „In Steckborn konnten wir alle Tänzer:innen in fast jede Szene involvieren“, was bei einer so grossen Zahl von Tänzer:innen wie am Théâtre Benno Besson nicht funktioniert habe.

Herausforderung, die bereichert

Die Proben für Steckborn waren sehr intensiv, an nur zwei Wochenenden. „Die Proben sind sehr anstrengend, aber es ist schön, auf eine neue Crowd zu treffen.“ Die Altersspanne der Teilnehmenden im Phönix Theater schätzt er auf 20 bis vielleicht 60 Jahre, die meisten mit, aber auch welche ohne Tanzerfahrung.

„Wir wollen mit dem Stück Theatern und Festivals die Chance geben, dem Publikum den Zugang zur Tanzkunst zu ermöglichen“, so Kass. Aktuell besteht zwischen der Company Idem und dem Phönix Theater noch eine Partnerschaft, die im kommenden Jahr vielleicht fortgeführt wird. Matthias Kass verweist aber auch auf die Tatsache, dass Fördergelder in den letzten Jahren eher reduziert wurden und ein Projekt wie dieses, mehr Zeit für die Arbeit mit Laien investiert werden müsse, die dann vom Training mit den Profis abginge.

 

Halt im Strudel. Bild: Judith Schuck

Einbindung des Publikums als künstlerisches Mittel

„Wir lernen sehr viel aus diesem Projekt“, sagt der Choreograph, gibt aber auch zu, dass er und Clément Bugnon anfangs etwas Angst davor hatten, was da auf sie zukommt. Die Rückmeldungen der Teilnehmenden seien aber bisher durchwegs positiv gewesen. In „Together“ soll neben den Teilnehmenden aus der Region, auch das Publikum eingebunden werden, was in Steckborn nur teilweise gelang. Vielleicht war es nach diesem intensiven, eindrucksvollen Tanzerlebnis nur schwierig, die vierte Wand zu durchbrechen, weil alle so gebannt vom Bühnengeschen waren? Vielleicht hätten öfters Einladungen zur Beteiligung stattfinden sollen und auch an kleinere Gruppen oder Einzelne gerichtet?

„Wir brauchen andere Mittel, um das Publikum von morgen zu erreichen“, ist Matthias Kass überzeugt. Mit dem Projekt möchte die Company Idem auch Menschen, die bisher wenig Berührungspunkte mit Tanz hatten oder aus welchen Gründen auch immer mit dem Tanzen aufgehört haben, reinholen. „Ich bin jetzt richtig tanzbegeistert“, habe ihm ein Teilnehmender aus Steckborn geschrieben. Die Idee scheint zu fruchten.

Die nächste Station von „together“ ist im neuen Jahr in Reutlingen auf der Schwäbischen Alb.

 

Erleichterung und Erschöpfung nach der Premiere in Steckborn. Bild: Judith Schuck

 

Die Steckborner Teilnehmenden am Projekt together. Bild: Judith Schuck

 

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