Seite vorlesen

von Dieter Langhart, 07.10.2021

Wald(gut)sterben im Thurgau

Wald(gut)sterben im Thurgau
Verlassener Ort: Der Waldgutverlag im Frauenfelder Eisenwerk ist Geschichte. | © Dieter Langhart

Beat Brechbühl – Dichter, Setzer und Verleger in Frauenfeld – hat seinen Verlag Waldgut aufgelöst. Das war vorhersehbar und ist kein Einzelfall, aber Nachfolger füllen inzwischen die Lücke. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Prolog

Man hat es ahnen können, das Fanal war 2009. Damals wurde der Frauenfelder Traditionskonzern Huber zerschlagen. Die Buchhandlung wanderte zu Orell Füssli; die Thurgauer Zeitung (selbst seit Jahren ein Zusammenschluss kleinerer Zeitungen) wurde von Tamedia geschluckt, dann von der NZZ Mediengruppe, die sie dem St. Galler Tagblatt-Verbund angliederte, der wiederum ging später in CH Media auf. Die Druckerei war da längst eingestampft, das wertvolle Gelände mit Wohnungen überbaut.

Und der Verlag Huber mit seinen Thurgoviana und seinem exquisiten literarischen Programm schlüpfte dank Ex-Verleger Hansrudolf Frey bei Orell Füssli unter, schliesslich bei Th. Gut, wo die wunderbare, von Publizist Charles Linsmayer verfasste Reihe «Reprinted by Huber» fortbesteht. Doch was hat schon Bestand in dieser hektischen, fusionsgierigen, ökonomisch getriebenen Zeit?

Waldgut stand für exquisite und ausgefallene Literatur

Beat Brechbühl ist ein Hansdampf in allen Schwarzkunstgassen. Der gelernte Schriftsetzer aus dem Bernbiet sammelte Bleisatzlettern, setzte aus ihnen die poetischen Bodoni-Blätter und die Umschläge für die Bücher seines Verlags Waldgut.

Darin erschien exquisite bis ausgefallene Literatur, um die grosse Verlage einen Bogen machten, da sie sich nicht rechnete: viel Lyrik und Kurzprosa, oft von Autoren aus der Region wie Jochen Kelter oder Ruth Erat oder von solchen, die hier kaum einer kannte, daneben Essays und Übersetzungen – insgesamt einige hundert Titel in mehreren Reihen. Er gab das heraus, was ihm gefiel und was ihm wichtig war, nicht was sich rechnen musste: Preziosen.

Der Verleger Beat Brechbühl. Bild: Sascha Erni (2018)

Brechbühl liebt das traditionelle Handwerk

Wie kein anderer verband Brechbühl moderne Dichtung und ausgefallene Literatur mit dem traditionellen Handwerk, das er so liebte. Kein Zufall auch, dass Waldgut Gründungsmitglied war von SWIPS (Swiss Independent Publishers), der Medien- und Kommunikationsplattform unabhängiger Schweizer Verlage.

Waldgut samt Atelier Bodoni war im Untergeschoss des Eisenwerks Frauenfeld untergebracht. Der Platz war stets eng, doch das Verlagsverständnis war international. War, denn im Sommer wurde alles ausgeräumt, nachdem Brechbühl seinen Verlag liquidieren musste. In den vergangenen Monaten war kaum mehr etwas gelaufen, die Website ist wie eine alte Uhr stehengeblieben, bei der Vorschau für den Herbst 2019.

Als wäre die Zeit stehen geblieben: In den Räumen des Waldgutverlags im Juli 2021. Bild: Dieter Langhart

Der Verleger hat es seinem Verlag nicht immer leicht gemacht

Brechbühl, 82, ist müde geworden, verbittert auch, sein Gedächtnis lässt ihn oft im Stich, und wenn er erzählt, bleibt er in der Vergangenheit verhaftet. Er hätte die Chance gehabt, seinen Verlag in neue und starke Hände zu geben, doch er wollte im Grunde nicht, sein Herz weigerte sich und seine oft ruppige Art vergraulte auch treue Mitarbeiterinnen, die sich um fast alles kümmerten.

Die auch mithalfen bei der Buch- und Druckkunstmesse im Eisenwerk, einer Biennale, die Aussteller aus halb Europa vereint und dank dem Förderverein Bodoni Club weiterbesteht. Auch Waldgut hat da stets einen Stand, doch Brechbühl war kaum je anzutreffen.

Jetzt haben die bisherigen Waldgut-Autor:innen ein Problem

Was hingegen aus den Buchläden verschwindet sind die Titel aus dem Waldgut – sie können nicht mehr über eine offizielle Auslieferung bestellt werden. Manche Autorinnen und Autoren haben ihre Bücher im Eisenwerk abgeholt, doch was nützen ihnen die Rechte an ihren Werken, wenn sie nicht mehr zu kaufen sind? Und was nützt es der Leserschaft, dass das Staatsarchiv Brechbühls Verlagsarchiv und seinen Vorlass erstand – wer geht schon ins Thurgauische Literaturarchiv?

Lyriker Brechbühl und Schriftsteller und Essayist Jochen Kelter haben gemeinsam mit der Thurgauer Kulturstiftung vor rund dreissig Jahren Jahren die zweijährliche Frauenfelder Lyriktage ins Leben gerufen. Auch sie verschwindet mitsamt dem Format tanz:now aus dem Thurgauer Veranstaltungskalender, die Stiftung hat neue Pläne. Ihre Publikationsreihe «facetten» übrigens, eine Art Künstlermonografien, erschien einst bei Benteli, seit 2018 bei Jungle Books in St. Gallen.

Was andere Thurgauer Traditionsverlage machen

Die Thurgauer Traditionsverlage Benteli und Niggli übrigens, auf Kunst und Architektur spezialisiert, hat der aus Sirnach stammende Markus Sebastian Braun 2015 gekauft und auf internationale Ausstrahlung getrimmt. Da hat Nischenliteratur keinen Platz mehr wie etwa in Bruno Oetterlis Kleinverlag Signathur in Dozwil, der sich einen Namen gemacht hat vor allem mit Übersetzungen von Eugen Gomringer ins Englische (!) und Neuübertragungen von Byron, Milton oder Shakespeare-Sonetten ins Deutsche.

Die Neuen: Caracol und Saatgut

Waldgut war der wichtigste und kreativste Thurgauer Literaturverlag, doch ein neuer ist vergangenes Jahr in die Bresche gesprungen: Caracol. Der Verlag mit Sitz in Warth-Weiningen ist kein Eigenverlag, sondern als GmbH organisiert, als «Verlag der Autorinnen und Autoren», der offen ist für kreative Autorinnen und Autoren. Geleitet wird Caracol von Irène Bourquin und Isabella Looser; beide haben längere Zeit in Brechbühls Waldgut-Verlag gearbeitet.

Bereits 2019 ist Saatgut von einigen literaturaffinen Frauenfelder gegründet worden. Er fasst sich enger und lokaler, verlegt und verbreitet «Thurgauer Autoren und Themen». Drei Bücher sind bisher erschienen: «Ich hätte mit keinem König getauscht», Willi Toblers Hommage an den Maler Adolf Dietrich; die Jubiläumspublikation «5 Jahre Haus zur Glocke» über Judit Villigers Kunst- und Begegnungsort in Steckborn; und dieser Tage «Bleib doch ­– komm wieder», ein Thurgauer Lesebuch, herausgegeben von der Frauenfelder Lesegesellschaft, mit Geschichten von knapp drei Dutzend Thurgauer Autorinnen und Autoren.

Miriam Waldvogel, Verlagsleitung Saatgut-Verlag. Bild:arttv.ch

 

Und da ist noch ein neuer Thurgauer Verlag, der älteste der drei neuen: Muskat Media, gegründet 2013 in Romanshorn von Pascal Beer, von dem zwei der bisher fünf Bücher stammen. Ein Kleinverlag, der sich urbaner und experimenteller Literatur annimmt, aber noch keine nennenswerte Reichweite aufweisen kann.

 

 

 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Literatur

Kommt vor in diesen Interessen

  • Porträt
  • Belletristik
  • Biografie
  • Sachbuch
  • Lyrik

Werbung

Fünf Dinge, die den Kulturjournalismus besser machen!

Unser Plädoyer für einen neuen Kulturjournalismus.

15 Jahre Kulturkompass

Jubiläumsstimmen und Informationen rund um unseren Geburtstag.

igKultur Ost aktuell (Herbst'24)

Aktuelle Infos aus dem Ostschweizer Kulturuniversum: Stärkung der igKultur Ost – Sektion Thurgau, Kultur und Tourismus, Kulturstammtisch, ...

"Movie Day": jetzt für 2025 bewerben!

Filme für das 12. Jugendfilm Festival können ab sofort angemeldet werden. Einsendeschluss der Kurzfilme für beide Kategorien ist der 31.01.2025

Kunstwettbewerb: Skulptur für SOPHIA-Garten

Die Spitalstiftung Konstanz und die Werner-Schupp-Stiftung Konstanz schreiben einen Kunstwettbewerb aus. Vorschläge für den SOPHIA-Garten können bis zum 30. Oktober 2024 eingereicht werden.

Ähnliche Beiträge

Literatur

Flucht aus Neugier

Im Kult-X stellte der Ermatinger Autor Jens Koemeda seinen neuesten Roman vor. Einmal mehr widmet er sich seinem Lebensthema, der Migration. mehr

Literatur

Eine Plattform für die Kleinen und Unabhängigen

In Kreuzlingen trafen sich zum ersten Mal Kleinverlage, Autoren und Leser zur Bodensee-Buchmesse. Stephan Militz von Verein Kultur Worx hatte den Anlass organisiert. mehr

Literatur

Identitätskrise?

Verliert die Literaturzeitschrift «Mauerläufer» ihr regionales Profil? Die zehnte Ausgabe des literarischen Jahreshefts legt dies jedenfalls nah. mehr