von Samantha Zaugg, 08.05.2025
«Gute Kulturangebote bringen Standortvorteile»

Seit fast einem Jahr ist Regierungsrätin Denise Neuweiler Chefin im Departement für Erziehung und Kultur. Jetzt spricht sie im Interview über Stadt und Land, über Kultur und deren Finanzierung mit knapper Staatskasse. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Frau Neuweiler, der Thurgau ist ein ländlicher Kanton. Hat Kultur hier eine andere Bedeutung als in einem urbanen Gebiet?
Ich sehe keinen Unterschied im Stellenwert der Kultur, sondern darin wie sie gelebt wird. Im urbanen Bereich ist Kulturbegriff eher spezialisiert, es gibt bestimmte Szenen. In ländlicheren Gebieten wird Kultur breiter gelebt und spricht so eine breitere Bevölkerung an. In beiden Regionen, ländlich und urban, hat Kultur einen wichtigen Stellenwert und schafft Lebensqualität.
Wie kann Kultur zu Gemeinde- oder Standortentwicklung beitragen?
Wachstum und innere Verdichtung sind grosse Themen. Um die dadurch steigende Anonymität zu durchbrechen, braucht es Orte, wo man sich treffen kann, für mehr Nähe und Kommunikation. Kulturorte können diese Funktion einnehmen. Ausserdem sind gute Kulturangebote und Kulturorte ein Standortvorteil im kantonsinternen und schweizweiten Wettbewerb um Zuzüger. Ebenso ist Kultur auch ein Wirtschaftsfaktor, beispielsweise für das Gewerbe, Restauration, Hotellerie. Kultur und Stadtentwicklung gehören untrennbar zusammen.
«Kultur muss auch aus der Bevölkerung kommen und von innen wachsen.»
Denise Neuweiler, Regierungsrätin
Welche Beispiele gibt es dafür im Thurgau?
Das Projekt Tankkeller in Egnach war ein gutes Beispiel, wie Kultur auf dem Lande erfolgreich und partizipativ gelebt werden kann. Es wird sich zeigen, ob das Projekt eine Nachwirkung entfalten kann bei der aktuell realisierten Überbauung. Ein weiteres Beispiel ist das Werk2 Areal in Arbon. Das geplante Themenhaus und die anlaufende kulturelle Zwischennutzung der ehemaligen Webmaschinenhalle dürften einen grossen Gewinn bringen, für das Areal und für die Region.
Ein weiteres Beispiel ist die Stadtkaserne in Frauenfeld.
Es ist eine Chance für Frauenfeld ein solches Areal zu haben. Die Frage ist, was man daraus macht und wie man es finanziert. Daran scheitert es ja oft.

Kultur ist mehr als Freizeitgestaltung – sie prägt das Selbstverständnis einer Region, schafft Identität und kann entscheidend zur lokalen Wirtschaft sowie zur Standortattraktivität beitragen. Das Potential ist unbestritten, insbesondere wenn es um Wachstum und Verdichtung geht. Städte und Gemeinden stehen vor der Frage, welche Rolle kulturelle Angebote bei der Förderung des Wirtschafts- und Lebensraums spielen kann.
In vielen Kantonen, auch im Thurgau, wird dieses kulturelle Potenzial noch zögerlich genutzt. Es mangelt nicht an Initiativen und Akteur:innen. Dennoch steht die strukturelle Verankerung von Kultur in der Standortentwicklung noch am Anfang. Wo liegen Potentiale verborgen? Wie lassen sie sich nutzen? Und welche Rolle spielen dabei Kanton, Gemeinden, kulturelle Akteur:innen und die Bevölkerung?
In einem Dossier versammeln wir Stimmen und Perspektiven zum Thema. Die Texte bilden die Grundlage für die zweite Ausgabe der Veranstaltungsreihe «Kultur trifft Politik». Die Veranstaltung findet am Dienstag, 13. Mai, ab 17:30 Uhr, im Apollo Kreuzlingen statt.
Die Beispiele Arbon und Frauenfeld zeigen, wie komplex grosse Projekte sind. Viele lokale Akteure sind eingebunden dazu die Städte und die Regierung mit verschiedenen Departementen. Wie arbeiten die Departemente zusammen?
Der Austausch ist gut. Im Beispiel von Arbon arbeiten wir vor allem mit dem Departement Bau und Umwelt zusammen. Aktuell ist der Kanton in einer Sparphase. Auf Regierungsstufe müssen wir unsere Vorgaben anschauen und bestimmen, was wir umsetzen. Wo wollen wir investieren, wo müssen wir und wo nicht. Das Setzen der Prioritäten ist aktuell ein grosses Thema.
Die Regierung hat die Ziele der Finanzstrategie angepasst. Neu werden sämtliche Investitionen auf das «absolut notwendigste beschränkt». Deshalb werden Sanierungen und Erweiterungen bei den kantonalen Museen temporär auf Eis gelegt. Scheint es nur so, oder wird bei der Kultur besonders schnell gespart?
Jein. Wir sind in der glücklichen Lage in der Kultur, dass wir den Lotteriefonds haben. Gesuche und Kulturangebote von Dritten können wir normal unterstützen, genauso wie die acht regionalen Kulturpools. Da wo es die Staatsmittel anbelangt, sind uns die Hände gebunden. Das betrifft zum Beispiel die kantonalen Museen. Innerhalb der Departemente gibt es eine Prioritätensetzung. Auch hier macht der Regierungsrat den ersten Vorschlag und der Grosse Rat entscheidet, ob er folgt.
«Gerade die kantonalen Museen bewahren auch unsere Identität und Herkunft. In den Museen wird viel gelehrt, sie leisten einen wichtigen Beitrag für Bildung und Schulen. Dem müssen wir Sorge tragen.»
Denise Neuweiler, Regierungsrätin
Der Grosse Rat ist aktuell sehr auf Sparkurs. Hängt das mit der bürgerlichen Mehrheit zusammen oder hat Kultur eine zu wenig präsente Lobby?
Mir fällt auf, wenn wir von Kultur sprechen, denken viele es gehe nur um Künstler und Ausstellungen. Dabei ist Kultur viel breiter, das gilt es immer wieder zu betonen. Gerade die kantonalen Museen bewahren auch unsere Identität und Herkunft. In den Museen wird viel gelehrt, sie leisten einen wichtigen Beitrag für Bildung und Schulen. Dem müssen wir Sorge tragen. Es ist mir ein Anliegen, dies verstärkt in die öffentliche und politische Wahrnehmung zu bringen.
Kann Kulturförderung ein Instrument sein, um Siedlungsentwicklung positiv zu unterstützen?
Ja, Kulturförderung kann Kultur vor Ort ermöglichen und damit Orte bei der Belebung und Entwicklung unterstützen. Kulturförderung agiert aber in der Regel reaktiv, also auf Gesuch hin. Es muss also bereits eine Initiative da sein, damit gefördert werden kann. Ausnahmen gibt es, wie beispielsweise das geplante Themenhaus Werk2 in Arbon. Damit das Zusammenspiel mit der Siedlungsentwicklung gelingt, wäre es wichtig, dass ein möglichst früher Austausch zwischen Arealentwicklern und Vertretern der Kultur stattfindet. Hier gibt es sicher Entwicklungspotenzial. Das liegt aber nur bedingt in den Händen des Kantons.
«Der Kanton kann Vernetzungsarbeit übernehmen, beispielsweise im Austausch mit den Gemeinden.»
Denise Neuweiler, Regierungsrätin
Im Kanton Zürich werden Förderinstrumente gezielt mit Siedlungsentwicklung von mittelgrossen Städten verbunden. Ist diese Art von Kulturförderung im Thurgau auch denkbar?
Im Thurgau drängt sich keine spezifische «Regionenförderung» auf. Wir haben keinen solchen Gap zwischen Stadt und Land. Das Modell kann also eher weniger auf unseren Kanton übertragen werden respektive wird zu grossen Teilen bereits so gelebt. Vor allem mit dem Förderinstrument der Kulturpools wird das regionale Kulturschaffen im Thurgau niederschwellig gefördert.
Die Gemeinden haben eine hohe Autonomie, was sie auf ihrem Gebiet realisieren, liegt in ihren Kompetenzen. Wo kann und soll sich der Kanton einbringen?
Gemäss Gesetz fördert der Kanton das kulturelle Schaffen und die Kulturvermittlung. Er unterstützt dabei die Bestrebungen von Gemeinden und Privaten und ergänzt diese durch eigene Vorkehren. Die Förderung des kulturellen Lebens innerhalb der Gemeinde ist primär Aufgabe der Gemeinde. Das Kulturamt kann die Gemeinden beraten und in der Vermittlung unterstützen sowie sich an Einrichtungen der Kulturförderung subsidiär beteiligen. Kultur in den Gemeinden zu etablieren, ist Aufgabe der Gemeinden. Ich fände es heikel, wenn der Kanton die Gemeinden zu Kultur verpflichten würde. Auch die Bevölkerung muss das wollen. Wenn man öffentliches Geld ausgeben will, fragen sich viele, was nützt das? Brauchen wir das? Kultur muss auch aus der Bevölkerung kommen und von innen wachsen.
Dennoch, welche Rolle kann der Kanton übernehmen?
Die Vernetzung. Das kann beispielsweise im Austausch mit den Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten passieren. Wir können sensibilisieren, gute Beispiele vorstellen oder in Einzelfällen Kontakte vermitteln. Beispielsweise wenn eine Überbauung geplant ist, dass die Bauherrschaft in Kontakt ist mit dem Stadt- oder Gemeinderat, der den Kulturbereich verantwortet. Früh genug Bewusstsein zu schaffen und den Fuss in die Tür zu bringen, das hat sicher noch Potential.
Veranstaltung zum Thema am 13. Mai: Kultur trifft Politik: Stadt- und Gemeindeentwicklung
Wie wollen wir heute miteinander leben? Eine zentrale Frage unserer Zeit, die die UNESCO schon vor fast zehn Jahren beantwortet hat:
«Kultur ist die DNA einer Stadt. Kulturelles Erbe trifft hier auf zeitgenössische Kunst und Kultur. Zusammen sind sie der Herzschlag urbaner Weiterentwicklung und Innovation. Kultur muss deshalb integraler Bestandteil von Stadtentwicklungsstrategien sein, um urbane Räume nachhaltig zu entwickeln und ihren Einwohnern eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen.»
Was bedeutet das jetzt für uns im Thurgau? Wie kann man auch in kleineren Städten und Gemeinden Kultur zu einem Treiber von Siedlungsentwicklung machen? Wie können Politikiker:innen diesen Prozess unterstützen? Und was kann Kultur überhaupt zur Entwicklung von Städten und Gemeinden beitragen? Bei der zweiten Ausgabe von «Kultur trifft Politik» wird darüber nachgedacht und diskutiert. Eingeladen sind Politiker:innen, Kulturakteur:innen und alle, die sich für das Thema interessieren.
Termin: Dienstag, 13. Mai, ab 17:30 Uhr
Ort: Apollo Kreuzlingen
Das Programm im Detail
ab 17.30h Ankommen & Einstimmen (mit Verpflegung)
18.15h Begrüssung
18.20h Input David Zimmermann, Präsident Verein ThurKultur / Gemeindepräsident Braunau TG
18.30h Workshop Evoloop
19.45h Diskussion mit Roland Ledergerber, Kantonsbaumeister TG; Karin Gubler, Kulturmanagerin; Christophe Rosset, Kulturbeauftragter Wetzikon; Michael Breitenmoser, Mitglied Geschäftsleitung HRS
ca. 20.30h Abschluss
Die Teilnahme ist kostenlos. Wir freuen uns aber über deine Anmeldung, damit wir wissen, wie viele Besucher:innen kommen werden. Anmeldungen für den Abend sind hier möglich. Kultur trifft Politik ist eine Veranstaltungsreihe in Zusammenarbeit mit der igKultur Ost, finanziert von der Kulturstiftung Thurgau.

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